Sprich mit ihr

Seit seinem Kinodebüt mit „Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande“ (1980) hat der spanische Filmemacher Pedro Almodóvar sukzessive einen wunderbaren Reifeprozess durchgemacht, der über Werke wie „Das Gesetz der Begierde“, „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“, „High Heels“ und „Live Flesh – Mit Haut und Haar“ bis zum Oscar-prämierten Meisterwerk „Alles über meine Mutter“ (1999) führte. Dass ihm die Anerkennung aus Hollywood nicht den Kopf verdrehte, bewies der selbstbewusste Autorenfilmer mit seinem nächsten Film „Sprich mit ihr“, der von zwei komatösen Frauen und einer ungewöhnlichen Männerfreundschaft erzählt. 

Inhalt: 

Bei einem Theaterbesuch von Pina Bauschs Stück „Café Müller“ sitzen der Journalist Marco Zuluaga (Darío Grandinetti) und der Krankenpfleger Benigno Martin (Javier Cámara) zufällig nebeneinander. Marco ist so ergriffen von dem Stück, dass ihm Tränen übers Gesicht laufen, was Benigno bemerkt, aber nicht kommentiert. Dafür erzählt er der im Koma liegenden Alicia (Leonor Watling) von dieser Episode. Er hat sich in Alicia verliebt, als er sie aus dem Fenster seiner Wohnung zum ersten Mal im gegenüberliegenden Ballettstudio beobachtet hat, doch hatte er nur kurz die Gelegenheit, mit ihr zu sprechen, bevor sie durch einen Autounfall ins Koma gefallen ist. Marco wiederum besucht seine Freundin Lydia Gonzales (Rosario Flores), die als Torera in der Arena von einem Stier aufgespießt worden ist und ebenfalls im Koma liegt. Er ist durch ein im Fernsehen ausgestrahltes Interview auf Lydia aufmerksam geworden und plante, einen Artikel für die Sonntagsbeilage seiner Zeitung zu schreiben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten unterhalten Marco und Lydia eine heftige Liebesbeziehung, die durch den Unfall in der Stierkampfarena jäh beendet wurde. 
Marco erfährt erst an Lydias Krankenbett von ihrem ehemaligen Liebhaber, dem Matador El Niño de Valencia (Adolfo Fernández), dass sie insgeheim zu ihm zurückkehren wollte. Marco nimmt diese Nachricht zum Anlass, nach Jordanien zu fliegen, und hinterlässt Benigno, mit dem er sich mittlerweile angefreundet hat, einen Stapel mit Reiseführern, die er geschrieben hat. 
Als er aus der Zeitung von Lydias Tod erfährt, will er Benigno anrufen, muss jedoch erfahren, dass dieser in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert worden ist, nachdem er Alicia geschwängert hatte… 

Kritik: 

Almodóvar hat sich in seinen Filmen stets als Anwalt und Fürsprecher von Frauen erwiesen und dabei einfühlsam ihre Leidensgeschichten und Tragödien mit Kampfgeist, Streitlust, Mut, Tapferkeit und Leidenschaft inszeniert. Zwar sind mit der Ballerina Alicia und der Torera Lydia wieder zwei starke Frauenfiguren in „Sprich mit ihr“ vertreten, doch nehmen sie als Koma-Patienten nur eine passive Rolle ein und werden erst durch die Liebe und Fürsorge von Marco und Benigno zum Leben erweckt. Interessant dabei ist, wie das Quartett in unterschiedlichen Konstellationen miteinander kommuniziert. Bevor die beiden Frauen jeweils durch Unfälle ins Koma fielen, war dem Journalisten und dem Krankenpfleger wenig Zeit vergönnt, die Objekte ihrer Begierde wirklich kennenzulernen. In den Gesprächen zwischen Marco und Lydia, die als Rückblenden inszeniert sind, ist nämlich stets Marco derjenige, der am Reden ist, während sie es nicht schafft, ihm zu berichten, dass sie sich von ihm trennen und wieder zu dem Matador zurückkehren möchte. 
Alicia wiederum erzählt im ersten Gespräch mit Benigno, dass sie eine Vorliebe für Stummfilme hege. Diesen Aspekt greift Almodóvar noch einmal auf sehenswerte Weise auf, wenn er Alicias Vergewaltigung durch Benigno ebenfalls mit einer Stummfilmsequenz darstellt, bei der ein auf Däumlingsgröße geschrumpfter Mann über einen schlafenden, nackten Frauenkörper wandert und schließlich in ihrer Vagina verschwindet. 
So ist „Sprich mit ihr“ vor allem ein Film über die Kommunikation, über die Wahrnehmung und den Ausdruck. Schon die einführende Ballettszene setzt den Schwerpunkt auf Körpersprache, wenn die beiden Frauen auf der Bühne allein durch tänzelnde Bewegungen und ihre Mimik ihre Gefühle zum Ausdruck bringen, während Marco und Benigno tief bewegt das Geschehen aus der Publikumsperspektive verfolgen. 
Auf ähnliche Weise werden das Ballettstudio (mit der großartigen Geraldine Chaplin als Leiterin), die Stierkampfarena und die psychiatrische Anstalt zu Bühnen, in denen die Akteure durch Fenster und Tribünen von den Zuschauern getrennt sind. In „Sprich mit ihr“ sind es vor allem die Männer, die die klassische Kommunikation mit Worten betreiben. So tauschen sich zwar vor allem Marco und Benigno über ihre Gefühle aus, aber Marco muss beispielsweise auch erst durch Lydias Ex erfahren, dass sie wieder zu ihrem ehemaligen Liebhaber zurückkehren wollte.  
Almodóvar hat „Sprich mit ihr“ nicht nur mit eindrucksvollen neuen Gesichtern wie Leonar Watling („The Oxford Murders“) und Rosario Flores besetzt, sondern auch wunderschöne Bilder gefunden, für die Kameramann Javier Aguirresarobe („The Others“, „The Road“) verantwortlich zeichnet. Damit hat Pedro Almodóvar seinen Ruf als wichtigster lebender spanischer Filmemacher gefestigt. 

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