Geboren am 4. Juli

Auch wenn Oliver Stone etliche weitere preisgekrönte, meist politisch thematisierte und kontrovers diskutierte Meisterwerke wie „JFK – Tatort Dallas“, „Nixon“ und „Natural Born Killers“ in seiner Filmographie aufweist, steht sein Name immer noch für die sogenannte Vietnam-Trilogie, die der zweimal verwundete und hochdekorierte Vietnam-Veteran mit „Platoon“ (1986), „Geboren am 4. Juli“ (1989) und „Zwischen Himmel und Hölle“ (1993) abgeliefert hat. Während Stone mit „Platoon“ vor allem seine eigenen Erlebnisse in Vietnam verarbeitete, basiert „Geboren am 4. Juli“ auf der Autobiographie des Vietnam-Veterans Ron Kovic, der mit Oliver Stone auch das Drehbuch verfasste. Der damals noch junge Tom Cruise erhielt für seine darstellerische Leistung seine erste Oscar-Nominierung als bester Schauspieler. 

Inhalt:

Nachdem Ron Kovic (Tom Cruise) als ältestes Kind eines Supermarkthändlers (Raymond J. Barry) und einer streng religiösen Mutter (Caroline Kava) in Massapequa, Long Island, aufgewachsen ist, meldet er sich zum Ende seiner Highschool-Zeit freiwillig für die Marines und damit wissentlich auch für einen Einsatz in Vietnam. Sein naiver Glaube, so seinem Land am besten dienen zu können, wird allerdings während seiner zweiten Dienstzeit dort erschüttert, als die Gruppe, die er anführt, die unbewaffneten Bewohner eines vietnamesischen Dorfes niedermetzelt, darunter vielen Frauen und Kinder. Im Chaos des unkoordinierten Rückzugs erschießt Kovic einen erst 19-jährigen Neuling, doch als er seinem Vorgesetzten von diesem Vorfall erzählt, verdonnert er Kovic zum Stillschweigen. Bei einem der nächsten Einsätze wird Kovic zunächst am Fuß getroffen, doch versucht er, trotz seiner Verletzung weiterzukämpfen. 
Nach weiteren Treffern wird Kovic ins Lazarett gebracht, wo ihm die erschütternde Diagnose erhält, dass er für immer querschnittsgelähmt sein wird. Kovic kehrt schließlich glücklich in den Schoß seiner Familie zurück, fühlt sich noch immer als Patriot, der sein Opfer für die richtige Sache, für sein Land gebracht hat. Doch das Gefühl, kein richtiger Mann mehr zu sein und von der Gesellschaft nicht für das geachtet zu werden, was er in Vietnam geleistet hat, setzen Kovic dermaßen zu, dass er dem Vorschlag seines Vaters folgt und nach Mexiko fährt. 
Dort lernt etliche weitere versehrte Veteranen wie Charlie (Willem Dafoe) kennen, die ihre Dämonen mit Alkohol und Prostituierten zu vertreiben versuchen. Die Atmosphäre dort deprimiert Kovic jedoch nur noch mehr und lässt ihn wieder in die USA zurückkehren, wo sich zunehmend Protest gegen den Vietnam-Krieg ausbreitet. Nicht zuletzt durch seine ehemalige Highschool-Liebe Donna (Kyra Sedgwick) schlägt sich Kovic schließlich auf die Seite der Demonstranten und erreicht 1972 durch ein im Fernsehen ausgestrahltes Interview während einer Wahlkampfparty für Richard Nixons Präsidentschaftskandidatur eine immer größere Bekanntheit… 

Kritik: 

Ron Kovics 1976 veröffentlichte Autobiografie „Born on the 4th of July“ bildete schon die Grundlage für Jon Voights Antikriegsfilm „Coming Home - Sie kehren heim“ (1978), doch erlangte erst durch Oliver Stones Adaption eine immense Popularität. Wie schon in „Platoon“ – und auch in vielen anderen Filmen des politischen Filmemachers – ist Oliver Stone nicht an einer differenzierten Aufarbeitung des Themas Vietnam-Krieg noch an einer fundierten Figurenentwicklung interessiert. Nachdem „Platoon“ eindringlich veranschaulichte, unter welchen Bedingungen junge, naive und oft arme und schwarze Soldaten in einem Krieg verheizt wurden, in den sie von reichen Weißen geschickt worden sind, dreht sich „Geboren am 4. Juli“ vor allem um die Heimkehrer, die ihr Land nicht mehr wiedererkennen. Schließlich haben über die Jahre die zahlreichen Verluste und die wachsende Gewissheit, dass der Krieg trotz materieller Überlegenheit für die Amerikaner in Vietnam nicht zu gewinnen ist, zu einem Umdenken in großen Teilen der Bevölkerung geführt, die immer öfter gegen die Kriegshetze der eigenen Regierung auf die Straße ging. 
Stone hat seinen Film in drei Akte aufgeteilt, wobei er Kovics Kindheit und Jugend, dem Siegeswillen beim Ringen und das schüchterne Werben um Donna, der er zu den Klängen von „Moon River“ einen Kuss auf dem Abschlussball gibt, zu dem er eigentlich nicht gehen wollte, kurz und fast schon sentimental abhandelt. Auch der traumatisierende Kampfeinsatz in Vietnam, der zur Lähmung führte, und der schmerzhafte Regenerationsprozess, werden auf das Wesentliche reduziert. 
Seinen besten Part weist der Film im dritten Akt auf, wenn Stone überzeugend, wenn auch nicht ohne Schwächen, die Wandlung seines Protagonisten von einem patriotischen Kriegsversehrten in einen Friedensaktivisten schildert. Tom Cruise („Vanilla Sky“, „Eyes Wide Shut“) hat dann seine besten Szenen, wenn seine Figur sich mit den oft unreflektierten Äußerungen seiner Mitmenschen auseinandersetzen muss und mit seiner Verzweiflung über sein eigenes Schicksal zurechtzukommen versucht. Seine leidenschaftliche Darstellung lässt darüber hinwegsehen, dass Kovics Wandlung vom naiven Kriegsveteran und Patrioten zum kämpferischen Kriegsgegner arg holperig vollzogen wird. 
Doch in seiner Aussage über das schwierige Verhältnis von Politik, Gesellschaft und Krieg setzt „Geboren am 4. Juli“ ein starkes Zeichen und regt noch immer zum Nachdenken an. Gerade der Umstand, dass Kovic am Tag der US-amerikanischen Unabhängig geboren wurde und Szenen seines Lebens immer wieder mit festlichen Paraden illustriert werden, führt vor Augen, wie weit die Lücke zwischen fehlgeleitetem Patriotismus und wirklich bedeutenden Wendepunkten in der Geschichte eines Volkes oder der Menschheit manchmal aufklafft. 
Oliver Stone sorgt mit seinen oft sehr plakativen, in der Sache aber richtigen Filmen immer wieder dafür, unseren moralischen Kompass zu überprüfen. Mit „Geboren am 4. Juli“ ist ihm das wieder zweifelsfrei gelungen. Übrigens sind etliche Darsteller aus Stones früheren Filmen in kleinsten Rollen zu sehen, so Tom Berenger, John C. McGinley und William Baldwin, außerdem Vivica A. Fox, Tom Sizemore und Lili Taylor.  

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