Talk Radio

Oliver Stone hat sich bereits in seinen ersten drei bedeutenden Filmen „Salvador“, „Platoon“ (beide 1986) und „Wall Street“ (1987) wenig um „political correctness“ geschert und den Finger tief in die Wunde des fehlgeleiteten US-amerikanischen Selbstverständnisses gelegt, was ihm nicht nur den Zuspruch des politisch linken Lagers einbrachte, sondern auch ebenso viel Kritik aus der anderen Ecke des politischen Spektrums. Ähnlich polarisierend präsentierte sich Stone auch mit seinem nachfolgenden, eher unbekannteren Werk „Talk Radio“, das wie „Salvador“ und Stones sehr persönlichen Vietnamkriegs-Drama „Platoon“ auf wahren Ereignissen beruht. 

Inhalt: 

Seit der ehemalige, sehr wortgewandte und schlagfertige Anzugverkäufer Barry Champlain (Eric Bogosian) von dem prominenten Radio-Moderator Jeffrey Fisher (Robert Trebor) entdeckt worden ist, präsentiert er seit fünf Jahren auf dem Sender KGAB in Houston jede Nacht die Sendung „Night Talk“, die davon lebt, dass Barry die Anrufer in seiner Sendung gnadenlos vorführt, beleidigt und letztlich als menschlichen Abschaum bezeichnet. Da die Sendung für den Lokalsender ein echter Quotenhit ist, hat sich Studioleiter Dan (Alec Baldwin) mit Dietz von der Unternehmensführung (John Pankow) darauf verständigt, die Sendung auf ganz Texas auszudehnen, fordert Barry aber auf, etwas zurückhaltender bei der bislang unverblümt rohen Behandlung der Anrufer zu sein. 
Doch darauf will sich Barry trotz guten Zuredens seiner jungen Produzentin und Geliebten Laura (Leslie Hope) nicht einlassen. Entweder darf er „seine“ Sendung so gestalten, wie es ihm passt, oder „Night Talk“ geht nicht landesweit auf Sendung. Unterstützung erhofft sich Barry von seiner Ex-Frau Ellen (Ellen Greene), die er am Sonntag nach Houston kommen lässt und bei der er wieder alte Gefühle wachruft. Barry jedoch weder Hemmungen, ihr live auf Sendung eine herbe Abfuhr zu erteilen, noch lässt er sich von rechtsradikalen Gruppierungen einschüchtern, die offene Morddrohungen über den Äther aussprechen… 

Kritik: 

Oliver Stone ließ sich von Stephen Singulars Buch „Talked to Death: The Life and Murder of Alan Berg“ für „Talk Radio“ inspirieren, der darin die Hintergründe des Mordes an dem Radio-Moderators Alan Berg dokumentierte. Ebenso wie Barry Champlain in „Talk Radio“ nahm auch der 18. Juni 1984 von Mitgliedern der rechtsextremen Gruppierung The Order in Denver ermordete Alan Berg kein Blatt vor den Mund, beleidigte und denunzierte seine Hörer auf jede erdenkliche Weise. Nur um die rechtsextremen Anrufer zu provozieren, erzählt Barry die offensichtlich erfundene Geschichte seines Besuchs des Konzentrationslagers Dachau, wo er als Andenken an die Ermordung Millionen von Juden einen Davidstern mitnahm.
 Auch die Nachricht, dass es sich bei dem Päckchen, das ihm ins Studio geschickt worden ist, um eine Bombe handeln würde, nimmt Barry gelassen auf, packt es live in der Sendung aus und entdeckt eine in eine Naziflagge eingewickelte tote Ratte und einen Brief, der keine Zweifel darüber lässt, was die rechtsextremen Typen von „The Order“ am liebsten mit ihm anstellen möchten. 
Stone und sein Co-Drehbuchautor/Hauptdarsteller Eric Bogosian („Alarmstufe: Rot 2“, „Wonderland“) nutzen die klaustrophobische Atmosphäre des Studios, in dem sich die Handlung zum großen Teil abspielt, um einerseits die Isolation des zynischen, kompromisslosen Moderators zu verdeutlichen, der sich nicht nur sich selbst, sondern auch seiner Liebsten entfremdet, der keine echten, schon gar keine warmherzigen Gefühle zu entwickeln versteht und seinen Unmut über die moralische Verkommenheit seiner Mitmenschen offen zur Schau trägt. 
Andererseits präsentiert sich „Talk Radio“ natürlich auch als ungewöhnliche Medienkritik, denn die Leute, die bei Barry anrufen, rennen ja nicht ganz unbedarft in ihr Unglück. Es sind ja, wie sie oft genug betonen, Hörer seit der ersten Sendung, die aber auf Nachfrage gar nicht benennen können, was sie an der Sendung so schätzen. Die Zuhörer sind offensichtlich gefesselt von der schonungslosen Art, wie Barry seine Anrufer öffentlich entblößt, ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten aufdeckt, an denen sich die Zuhörer voyeuristisch aufgeilen. Das findet in der Regel zwar im öffentlichen Raum, aber letztlich doch anonym statt. 
Barry fühlt sich so sicher in seinem beengten Studio, in seinem Reich, dass er mit Kent (Michael Wincott) sogar einen seiner Kritiker sofort in seine Sendung einlädt, wovon ihm Dan und Laura dringend abraten. Eric Bogosian verkörpert den selbstzerstörerischen Radiomoderator mit eindringlicher Intensität, und Robert Richardsons grandiose Kameraarbeit fängt das Drama mit dem vorhersehbaren Ende wunderbar ein, ist immer ganz dicht an Barry dran. 
Auch wenn „Talk Radio“ zu den weniger bekannten Werken von Oliver Stone zählt, ist es doch ein zeitloses Kleinod über zweifelhaften Personenkult und das schwierige Verhältnis zwischen Medien und ihrem Publikum, das genau das geliefert bekommt, wonach es sich zu sehnen scheint.  

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