JFK: Tatort Dallas
Mit kontrovers diskutierten, oft polemisch wirkenden Filmen wie „Salvador“, „Platoon“, „Wall Street“ und „Geboren am 4. Juli“ hat sich Oliver Stone wohl ebenso viele Anhänger wie Kritiker gemacht, was zumindest dokumentiert, dass der Filmemacher mit seinen Werken den jeweiligen Nerv der Zeit trifft und dabei klare Stellung bezieht. Mit seinem im Director’s Cut über 200 Minuten langen Thriller-Drama „JFK: Tatort Dallas“ (1991) hat sich Stone einer der größten Verschwörungstheorien angenommen, deren Grundlagen bis heute weder bestätigt noch entkräftet werden konnten, des Attentats auf den US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy am 22. November 1963.
Als John F. Kennedy mit seiner Frau Jackie in einem offenen Wagen durch Dallas gefahren wird und der jubelnden Menschenmenge am Straßenrand zuwinkt, wird der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika gegen 12:30 Uhr von mehreren Schüssen getroffen. Die letzte und tödliche Kugel reißt ihm einen Großteil der Schädeldecke weg. Wenige Stunden später wird nicht nur Vizepräsident Lyndon B. Johnson als 36. Präsident der USA vereidigt, sondern auch Lee Harvey Oswald (Gary Oldman) als mutmaßlicher Attentäter verhaftet. Während ihm vorgeworfen wird, aus dem 6. Stock eines Hauses drei Schüsse auf Kennedy abgegeben und kurz darauf auch einen Polizisten erschossen zu haben, erklärt er bei seiner Verhaftung, dass er jeden Vorwurf gegen ihn abstreite und nur der Sündenbock sei.
Zwei Tage später erschießt der Nachtclubbesitzer Jack Ruby Oswald auf dem Weg ins Bezirksgefängnis vor laufenden Fernsehkameras. Die von Präsident Johnson einberufene Warren-Kommission, die die Ereignisse rund um die Attentate an Kennedy und Oswald aufarbeiten soll, kommt im September 1964 zu dem Ergebnis, dass Oswald als Einzeltäter für die Ermordung des Präsidenten verantwortlich gewesen sei. Jim Garrison (Kevin Costner), Bezirksstaatsanwalt von New Orleans, kommt drei Jahre nach dem Attentat in einem Flugzeug mit Senator Long (Walter Matthau) ins Gespräch, der ihn auf verschiedene Unstimmigkeiten in dem Bericht der Warren-Kommission hinweist. Garrison, der von Anfang an seine Zweifel an der öffentlichen Darstellung des Kennedy-Attentats gehabt hat, beginnt mit seinem Mitarbeiter-Stab, darunter Lou Ivon (Jay O. Sanders), Bill Broussard (Michael Rooker) und Susie Cox (Laurie Metcalf), die Ermittlungen zu den Ereignisse vom 22.11.63 noch einmal unter die Lupe zu nehmen und mit allen noch aufzufindenden Zeugen zu sprechen, denn einige sind bereits unter teils mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Bei ihren Ermittlungen erfahren Garrison & Co. unter anderem von dem Detektiv Martin (Jack Lemmon),
dass der Pilot David Ferrie (Joe Pesci) damit beauftragt gewesen sei, Oswald mit einem Flugzeug aus Dallas ins Ausland zu bringen. Oswalds Mörder Ruby (Brian Doyle-Murray) habe diesen Plan mit ausgearbeitet. Besondere Aufmerksamkeit schenken Garrison und seine Crew der ungewöhnlichen Lebensgeschichte von Oswald, sondern auch verschiedenen Zeugenaussagen, die darauf hinzuweisen scheinen, dass um den Tatort herum verschiedene verdächtige Personen gesichtet und Schüsse aus Richtung des Grashügels abgegeben worden seien, wo der Schütze eine freie, frontale und flache Sicht auf Kennedy gehabt habe. Der ominöse „Mister X“ (Donald Sutherland) klärt Garrison über eine angebliche Verschwörung von Geheimdienstkreisen, Anti-Castro-Gegnern und Vietnam-Krieg-Befürwortern auf, lehnt es aber natürlich ab, seine Aussagen vor Gericht zu bezeugen. Da die konkretesten Hinweise auf eine Verschwörung zum Geschäftsmann Clay Shaw (Tommy Lee Jones) führen, der trotz gegenteiliger Behauptungen mehrerer Zeugen vehement bestreitet, Ferrie oder irgendwelche exilkubanischen oder rechtsradikalen Personen zu kennen bzw. Mitglied oder Kontaktmann der CIA gewesen zu sein, bringt Garrison ihn wegen Beteiligung an einem Komplott zru Ermordung des Präsidenten vor Gericht…
Kritik:
Mit einer geschickten Collage aus Dokumentarfilmaufnahmen, täuschend echt nachgestellten Szenen vom Attentat und gespielten Sequenzen, die bereits auf die Verschwörung hinweisen, die er in seinem Film „JFK: Tatort Dallas“ thematisieren will, findet Oliver Stone gleich einen emotional aufwühlenden Einstieg. Die von John Williams‘ militärisch-patriotischen Klängen untermalte Montage ruft dem Zuschauer die schrecklichen Ereignisse vom 22. November 1963, die die Welt erschütterten und Bezirksstaatsanwalt Garrison zu der Aussage verleiteten, sich zu schämen, ein Amerikaner zu sein, deutlich vor Augen. Oliver Stone und sein Co-Drehbuchautor Zachary Sklar haben sich für ihren Film auf die beiden Bücher „On the Trail of the Assassins“ von Jim Garrison und „Crossfire: The Plot That Killed Kennedy“ von Jim Marrs beschränkt, die die in der Warren-Kommission vermittelten Ergebnisse zur Untersuchung des Attentats auf Kennedy anzweifeln und ihre eigenen Nachforschungen angestellt haben.
Oliver Stone erzählt die Geschichte ganz aus Jim Garrisons Perspektive und fokussiert sich ganz auf seine Vermutung, dass hinter der Ermordung Kennedys hochrangige inner-, vielleicht auch außerpolitische Kräfte beteiligt gewesen sind. Die zentralen Fragen, um die sich Garrisons Ermittlungen drehen, befassen sich nicht allein mit der Identität der oder des Schützen, sondern vor allem mit den Motiven. Wer profitierte von dem Mord an Kennedy, wer hatte die Macht und die Ressourcen, ein solches Verbrechen zu planen, durchzuführen und letztlich zu verschleiern? Oswald und Ruby scheinen in diesem Zusammenhang nur Bauernopfer gewesen zu sein, die eigentlichen Drahtzieher und Nutznießer werden eher bei den Kriegstreibern gesehen, den politisch Rechten und der Rüstungsindustrie, denn nur Krieg würde die Wirtschaft einer Nation wachsen lassen, so die Argumentation.
Dadurch dass Garrison die Aussagen seiner Zeugen immer wieder mit Rückblenden in Schwarzweiß unterlegt, wird der dokumentarische Charakter und der damit verbundene Wahrheitsgehalt suggeriert, was Stone den Vorwurf einbrachte, dass er es von vornherein darauf angelegt habe, allein seine Verschwörungstheorie zu untermauern, aber andere Deutungen nicht zuließ.
Auch wenn Stones Kritiker damit nicht ganz Unrecht haben und Garrison als blütenweißer Saubermann mit hehren Ambitionen dargestellt wird, der er wahrscheinlich nicht ganz so war (ihm wurde vorgeworfen, Zeugen hart angefasst und bestochen zu haben sowie mit der Mafia in Kontakt gewesen zu sein), auch wenn Oliver Stone ganz allein Garrisons Standpunkt verfolgt und andere mögliche Hintermänner wie hochrangige Mafiosi außen vor lässt, wirft er doch ein bedeutendes Licht auf die Art und Weise, wie komplex Untersuchungen zu einem so weltbewegenden Ereignis sein können.
Das ist sehr dialoglastig, aber packend inszeniert, so dass die Aufmerksamkeit des Zuschauers über die ganze Laufzeit gefordert ist. Kevin Costner verkörpert den engagierten Staatsanwalt, der über den Fall seine Frau (Sissy Spacek) und Kinder zu vernachlässigen droht, mit überzeugender Leinwandpräsenz, die in dem gut halbstündigen Schlussplädoyer ihren Höhepunkt erreicht. Auch sonst ist „JFK“ bis in die Nebenrollen mit Stars wie Gary Oldman, Kevin Bacon, Tommy Lee Jones, Walter Matthau, Jack Lemmon, Joe Pesci, John Candy, Donald Sutherland, Michael Rooker und Vincent D’Onofrio glänzend besetzt.
Die großartige Kameraarbeit von Robert Richardson, die tragende und dramatische Musik von John Williams, der gelungene Schnitt und die präzise Inszenierung machen „JFK: Tatort Dallas“ zu einem Meisterwerk, das eine wie bei Stone gewohnte eindeutige Positionierung bezieht, vor allem aber zum Nachdenken darüber anregt, dass oft mehr hinter einer öffentlich proklamierten „Wahrheit“ steckt, als man glauben soll.
30 Jahre später unternahm Stone mit „JFK Revisited: Die Wahrheit über den Mord an John F. Kennedy“ einen weiteren Versuch, die Verschwörung rund um das Kennedy-Attentat aufzuarbeiten, doch bis heute bleiben die genauen Umstände seines Todes ungeklärt.
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