Wall Street
In seinen ersten beiden Filmen, mit denen Oliver Stone in der Doppelfunktion als Drehbuchautor und Regisseur erfolgreich wahrgenommen wurde („Salvador“ und „Platoon“, beide 1986), hat Stone jeweils die Perspektive der Protagonisten eingenommen und sich nicht um eine möglichst neutrale Präsentation der Themen Bürgerkrieg in El Salvador und Vietnamkrieg geschert. Ähnlich provokativ ging Stone mit seinem nächsten Film vor. „Wall Street“ (1987) ist eine gnadenlose Abrechnung mit der moralischen Verkommenheit gewissenloser Börsenmakler und bescherte Michael Douglas seinen ersten und einzigen Oscar als bester Hauptdarsteller.
Statt wie sein Vater Carl (Martin Sheen) Karriere bei der kleinen Fluggesellschaft Bluestar zu machen, wo dieser als Monteur und Gewerkschaftsvertreter arbeitet, plant Bud Fox (Charlie Sheen), an der Börse das große Geld zu machen. Doch der Weg bis dahin gestaltet sich mühsam. Als Telefonmakler putzt er täglich zwischen halb zehn und vier Uhr nachmittags bei Jackson Steinem & Co. Klinken, indem er potentiellen Kunden Börsengeschäfte anzudrehen versucht. Für eventuelle Verluste muss Bud selbst geradestehen, weshalb er sich nur eine winzige Mietwohnung an der Upper West Side von Manhattan leisten kann. Für eine richtige Beziehung bleibt, keine Zeit, weil er auch zuhause am Computer die Börsenkurse verfolgt. Vor allem hofft er, endlich einen Termin bei seinem großen Vorbild, dem milliardenschweren Gordon Gekko (Michael Douglas) zu bekommen.
An Gekkos Geburtstag wird seine Ausdauer endlich belohnt, und Bud bekommt fünf Minuten bei dem überaus agilen Börsen-Spezialisten. Doch Buds anfängliche Versuche, Gekko für einige Investitionen gewinnen zu können, scheitern kläglich. Erst als Bud durch eine Insiderinformation seines Vaters Gekko auf ein günstig zu erwartendes Gerichtsurteil für Bluestar aufmerksam macht, beißt Gekko an. Tatsächlich verdient Gekko mit dem Kauf von Bluestar-Aktien so viel schnell Geld, dass er Bud eine üppige Provision bezahlt und ihm ein Callgirl schickt. Doch schon der nächste Deal, den Bud für Gekko abwickelt, fährt Verluste ein, so dass Gekko die Zusammenarbeit aufkündigen will.
Als Bud hartnäckig um eine zweite Chance bittet, beauftragt ihn Gekko mit der Beschaffung von illegalen Insiderinformationen, mit denen er seinem schärfsten Widersacher, den Briten Sir Larry Windman (Terence Stamp), endlich heimzahlen kann, dass Windman ihn vor Jahren richtig schlecht aussehen ließ. Bud besorgt die nötigen Informationen, beauftragt seinen alten Kumpel Roger Barnes (James Spader) mit der Abwicklung der Geschäfte, und kann sich endlich eine luxuriöse Penthousewohnung an der Upper East Side leisten kann, in die auch seine attraktive Freundin, die verwöhnte Innenarchitektin Darien Taylor (Daryl Hannah), einzieht. Als sich jedoch herausstellt, dass Gekko seinen Bluestar-Deal dazu ausnutzen will, ohne Rücksicht auf die Belegschaft, das Unternehmen zu zerschlagen, kommt es erst zu einem Zerwürfnis zwischen Bud und seinem Vater, dann versucht Bud, Gekko mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen, um das Unternehmen zu retten…
Kritik:
Daraus, dass ihm die moralisch fragwürdigen wie skrupellosen Machenschaften an der Börse ein Dorn im Auge sind, macht der politisch eher links verortete Oliver Stone in „Wall Street“ keinen Hehl. Schließlich hat er bereits durch seinen eigenen Vater, der als Broker an der Wall Street arbeitete und dort seine Existenz verzockte, erfahren müssen, welches Leid die Gier nach dem schnell verdienten Geld verursacht. Konkret ließ sich Stone für seinen Film und insbesondere bei der Figur von Gordon Gekko von Michael Robert Milken, dem „Erfinder“ der Hochzinsanleihen, und den beiden Wallstreet-Millionären Ivan Boesky und Carl Icahn inspirieren, deren Machenschaften in den beiden Büchern „Mr. Diamond“ von Douglas Frantz und „Club der Diebe“ von James B. Stewart thematisiert wurden.
Auch wenn Stone in „Wall Street“ wenig differenziert auf die Mechanismen an der Börse eingeht, gelingt es ihm doch hervorragend, die Lebenswelten zu skizzieren, in denen sich die Spieler auf dem Monopoly-Brett tümmeln. Da ist zum einen der rechtschaffene, ehrlich arbeitende, aber eben auch nicht besonders vermögende Carl Fox, der sich dafür einsetzt, dass die Firma, für die er ein Leben lang als Monteur gearbeitet hat, eine Zukunft für sich und seine Kollegen hat. Dagegen träumt sein Sohn Bud davon, möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen, und das scheint an der Börse am besten zu funktionieren.
Wenn Oliver Stone und sein Stamm-Kameramann Robert Richardson das Tohuwabohu im Großraumbüro Jackson Steinem & Co. sowie den lautstarken Aktienhandel an der Börse einfangen, bekommt man ein sehr gutes Gespür für den aufreibenden Arbeitsalltag an der Wall Street. Bei diesem immerwährenden Leistungsdruck kommen die Alten, die die Vorgaben nicht mehr schaffen, schon mal unter die Räder.
Auf der anderen Seite fängt der Film den Luxus und den Glamour ein, der einem winkt, wenn man es geschafft hat. Auf ausgefeilte Charakterisierungen hofft man indes bei „Wall Street“ vergeblich.
Oliver Stone ist hier ganz der aufwiegelnde Polemiker, der Figuren wie Bud Fox und Gordon Gekko als Stereotypen präsentiert, die für die rücksichtslose Gier stehen, auch wenn Bud am Ende eines Besseren belehrt wird und noch die Kurve bekommt, ein besserer Mensch zu werden. So wie Charlie Sheen, der zuvor in Oliver Stones „Platoon“ die beste Leistung seiner Schauspielkarriere absolviert hat, überzeugend die Naivität eines jungen Brokers verkörpert, der noch nicht ahnt, was das Spiel mit dem Kauf und Verkauf von Unternehmen für die Arbeitnehmer bedeutet, brilliert Michael Douglas mit einer auch physisch starken Performance, die keinen Zweifel daran lässt, dass hier ein Mann die Fäden zieht, der keine Skrupel dabei kennt, sein Vermögen täglich massiv zu vervielfachen.
Für leise Zwischentöne bleibt kaum Raum, was leider auch dazu führt, dass Daryl Hannah als luxusgeile und renommiersüchtige Innenarchitektin leider absolut fehlbesetzt wirkt. Doch von einigen Schwächen abgesehen bietet „Wall Street“ eine eindringliche Lehrstunde über die Gefahren eines grenzenlosen Kapitalismus.
2009 drehte Stone mit „Wall Street: Geld schläft nicht“ noch eine Fortsetzung mit Michael Douglas in der Hauptrolle. An den Erfolg des ursprünglichen Films konnte er allerdings nicht anknüpfen.
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