Willkommen in Wellville
Der ehemalige britische Werbefilmer Alan Parker hat in seiner langjährigen Regiekarriere eine Vielzahl an echten Meisterwerken wie „12 Uhr nachts – Midnight Express“ (1978), „Birdy“ (1984), „Angel Heart“ (1987) und „Mississippi Burning“ (1988) inszeniert, doch lieferte er anschließend mit „Komm und sieh das Paradies“ bereits ein weniger bemerkenswertes Drama ab. Der Trend setzte sich leider 1994 mit der Adaption von T.C. Boyles „Willkommen in Wellville“, einer Satire auf den Gesundheitswahn zu Beginn des 20. Jahrhunderts, trotz üppiger Ausstattung und prominenter Besetzung fort.
Inhalt:
Dr. John Harvey Kellogg (Anthony Hopkins) hat nach seiner Erfindung der berühmten Cornflakes, der Erdnussbutter und der elektrischen Heizdecke zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Battle Creek Sanitarium ins Leben gerufen, um wohlhabende Patienten mit einer bunten Mischung aus fleischloser Ernährung, therapeutischer Anwendungen und körperlicher Ertüchtigung von ihren wie auch immer ausgeprägten Leiden zu befreien. In wissenschaftlich anmutenden Vorträgen informiert er auch die Presse über die Vorzüge des regelmäßigen Stuhlgangs, gesunder Ernährung und den Verzicht auf Drogen, Alkohol, Zigaretten und Sex.
Eleanor Lightbody (Bridget Fonda) hat sich hier bereits zweimal behandeln lassen und reist diesmal mit ihrem Mann William (Matthew Broderick) an, damit dieser von dem Leid mit seinem empfindlichen Magen befreit wird. Während der Anreise lernt das Ehepaar im Speisewaggon des Zuges Charles Ossining (John Cusack) kennen, der in das Geschäft mit den Cornflakes einsteigen und sich von seinem Geschäftspartner die Fabrik zeigen lassen will, in der die Cornflakes-Produktion anlaufen soll. Seit sich J.H. Kelloggs Bruder erfolgreich um Produktion und Vertrieb der gleichnamigen Cerealien zu kümmern begonnen hat, sind etliche Nachahmer auf dem Markt vertreten, und nun will Ossining auch ein Stück vom Kuchen haben. Nach seiner Ankunft in Battle Creek muss Ossining allerdings feststellen, dass sein Geschäftspartner Goodloe Bender (Michael Lerner) bereits einen Großteil des investierten Vermögens verprasst hat, weshalb als Fabrik eine von Ratten und Schweinen bewohnte Lagerhallen-Ruine herhalten muss. Kelloggs heruntergekommener Adoptivsohn George (Dana Carvey) und ein ehemaliger Angestellter von Kellogg’s, der allerdings für die Ställe und nicht die Cornflakes-Produktion zuständig war, scheitern allerdings bei der Rezeptur schmackhafter Maisflocken, die nicht mal die Schweine anrühren.
Derweil lassen Eleanor und William, die in getrennten Zimmern untergebracht sind, verschiedene Anwendungen über sich ergehen, die bei William allerdings den Effekt haben, dass er wilde Sex-Fantasien entwickelt. Nicht nur seine persönliche Krankenschwester Irene (Traci Lind) hat es ihm angetan, auch die sehr blasse Ida Muntz (Lara Flynn Boyle) entfacht seinen Geschlechtstrieb.
Eleanor freundet sich mit der lebensfreudigen Patientin Virginia Cranehill (Camryn Manheim) an und lernt durch sie mit Dr. Lionel Badger (Colm Meaney) einen leidenschaftlichen Anhänger der Freikörperkultur kennen, der ein Buch über die Klitoris veröffentlicht hat, sowie Dr. Spitzvogel (Norbert Weisser) kennen, der als Experte in der Stimulation der weiblichen Genitalien mit der Hand gilt. Als William die Methoden in der Klinik anzuzweifeln beginnt und sich über einige Todesfälle wundert, drängt er seine Frau dazu, den Klinikaufenthalt abzubrechen. Doch seine Frau hat viel sehr Gefallen an Spitzvogels „manueller Handhabung“ gefunden…
Kritik:
Mit „Willkommen in Wellville“ kehrt Alan Parker in Sachen Ausstattung und Humor wieder zu seinem Debüt „Bugsy Malone“ (1976) zurück. Während er in dem aufwendigen Kostümdrama mit Kinderdarstellern die Gangsterfilme der 1940er Jahre parodierte, macht er sich in der Verfilmung von T.C. Boyles Roman über die Kommerzialisierung des Gesundheitswahns zu Beginn des 20. Jahrhunderts lustig, doch wirkt sein Film mit seinen Nebenhandlungen und Rückblicken etwas arg zerfahren, der Humor fällt immer wieder recht derb aus, so dass der Unterhaltungswert für Teile des Publikum sehr eingeschränkt sein dürfte.
Parkers Film ist nicht mehr als die Summe seiner Teile, sondern tatsächlich nur eine Aneinanderreihung von Einzelszenen, die nicht immer besonders geschickt miteinander verbunden sind. Die Parallelhandlung mit Ossinings Versuchen, eine konkurrenzfähige Cornflakes-Produktion auf die Beine zu stellen, wirkt hier ebenso hinderlich wie Kelloggs Erinnerungen an die Erziehung seines Adoptivsohnes George, der als erwachsener Mann vergeblich versucht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und von Ossining auch nur in seine Geschäfte eingebunden wird, weil er den Namen Kellog trägt.
Dreh- und Angelpunkte des Films sind neben dem kommunikationsfreudigen Dr. Kellogg, der von Anthony Hopkins („Das Schweigen der Lämmer“, „Was vom Tage übrig blieb“) mit Hasenzähnen und starker Präsenz dargestellt wird, vor allem das Ehepaar Lightbody, wobei der etwas hypochondrisch wirkende William ebenso wie seine resolute Frau Eleanor jeweils unterschiedliche sexuelle Erfahrungen machen. Gerade in diesem Bereich bemüht sich Parker leider vergeblich um einen stimmigen Ton, denn der Humor fällt doch sehr flach aus. So grandios die Kulissen und das Produktionsdesign auch sind, so sehr sich der illustre Cast auch bemüht, der Funken will bei „Willkommen in Wellville“ nie so recht überspringen.
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