Augen der Angst

An der Seite von Romy Schneider verkörperte Karlheinz Böhm als Kaiser Franz Josef in der „Sissi“-Trilogie (1955-1957) seine wohl berühmteste Rolle. Um einen Imagewechsel zum Charakterdarsteller zu vollziehen, nahm er einige Jahre später das Angebot an, in Michael Powells Psychothriller „Augen der Angst“ (1960) die Hauptrolle des an sich liebenswürdigen und scheuen, innerlich aber zutiefst zerrissenen Kameramanns zu spielen. Leider ging die Rechnung nicht auf. Wie Powell mit seinem Film den Blick auf den Zuschauer selbst richtete und ihn in die Rolle des Voyeurs zwang, hatten Kritik und Publikum damals nicht verstanden, weshalb Böhm frustriert zunächst nach Hollywood ging und Powell fortan in der Versenkung verschwand. Heute ist „Peeping Tom“ – so der Originaltitel – längst als Meisterwerk rehabilitiert. 

Inhalt: 

Seit dem Tod seiner Eltern lebt Mark Lewis (Karlheinz Böhm) zwar noch im Haus seiner Eltern, doch hat er – um den Unterhalt des Hauses bezahlen zu können – Mieter aufgenommen und sich selbst in der oberen Etage ein Refugium eingerichtet, das er vor allem als Entwicklungslabor und Projektionsraum für seine Filmprojekte nutzt. Mark arbeitet nämlich als Kameramann in einem britischen Filmstudio, verdient sich als Fotograf von leichtbekleideten Models noch etwas dazu. Doch seine wahre Leidenschaft besteht darin, Prostituierte, Models und Schauspielerinnen zu finden, die er dabei filmt, wie sich ihre Augen vor Todesangst weiten. Dabei richtet er ein Bein des Kamerastativs auf den Hals seines Opfers, zieht die Schutzkappe ab und durchbohrt mit der Spitze den Hals der Frau. 
Wie er seiner Mieterin Anna (Helen Stephens) erklärt, die er an ihrem 21. Geburtstag etwas näher kennenzulernen beginnt, wurde er selbst als Kind Opfer einer wissenschaftlichen Studie seines Vaters, der jeden Moment im Leben seines Sohnes mit der Kamera einfing und vor allem daran interessiert war, die Angstreaktionen festzuhalten, wobei er ihm beispielsweise eine Eidechse auf die Bettdecke warf, nachdem der Wissenschaftler für Psychiatrie ihn zu jedem möglichen Zeitpunkt aufgeweckt hatte. Die Reaktionen hielt Marks Vater sowohl auf Zelluloid als auch Tonband fest. Als Mark seine Filmstudiokollegin Vivian (Moira Shearer) nach dem Drehtag im Studio für eine private Session filmt und umbringt, ruft das natürlich die Polizei auf den Plan, als in einem der Requisitenkoffer auf dem Set Vivians Leiche gefunden wird. Mark ist deswegen kaum beunruhigt, sondern freut sich eher über die Gelegenheit, Chief Inspector Gregg (Jack Watson) und Detective Baxter (Keith Baxter) vor Ort bei der Polizeiarbeit filmen zu können. Als er sich mit Anna anzufreunden beginnt, offenbart Mark etwas mehr aus seinem Innenleben und sieht sich außerstande, sein Doppelleben wie bisher fortzuführen – mit schrecklicher Konsequenz … 

Kritik: 

Nach dem Drehbuch von Leo Marks („Der mysteriöse Mr. Sebastian“, „Teufelskreis Y“) hat Regisseur Michael Powell („Hoffmanns Erzählungen“, „Irrtum im Jenseits“) einen Psychothriller in bester Hitchcock- und Noir-Tradition geschaffen, in dem ein seit Kindertagen traumatisierter Mann genau die Angst mit der Kamera einzufangen versucht, der er als Kind durch seinen Vater ausgesetzt war. Das Erschreckende dabei ist – und das dürfte die Zuschauer damals so schockiert haben -, dass Powell sein Publikum durch die Kameralinse schauen lässt und damit zum Voyeur macht, der das Geschehen jedoch nur – mit lustvoller Angst – beobachten, aber nicht verändern kann. 
Bereits mit den ersten Szenen setzt Powell sein ausgeklügeltes Setting, richtet die Kamera zunächst auf ein Paar Augen in Nahaufnahme, macht den Zuschauer zunächst selbst zum beobachteten Objekt, dann kommt Marks im Mantel versteckte Handkamera ins Bild, bevor der Blick des Betrachters durch den Kamerasucher mit Fadenkreuz auf die Prostituierte gelenkt wird. Ebenso wie die Kamera folgt der Zuschauer der Prostituierten auf ihr Zimmer, nimmt die „Augen der Angst“ wahr, als die Frau ihrem Schicksal ins Auge sieht. 
Powell verzichtet dabei auf explizite Darstellungen (wobei einige Szenen allerdings auch der Zensur zum Opfer fielen). Sein Spiel mit der Angst funktioniert allein durch die Vorstellung des Betrachters und seinem Blick auf das Entsetzen, das sich in den Augen der Opfer widerspiegelt. Durch die geschickte Beleuchtung und satte Farbgebung kommt das Grauen noch intensiver zum Ausdruck. Dass zudem die Kamera als Mordinstrument eingesetzt wird, fügt „Augen der Angst“ noch eine weitere Bedeutungsebene hinzu, nämlich die Art und Weise, wie die Vision eines Filmemachers „mit Gewalt“ auf Zelluloid gebannt wird und den Zuschauer zwingt, sich mit genau dieser Vision auseinanderzusetzen. 
So ist „Augen der Angst“ ein psychologisch vielschichtiges, packendes und verstörendes Thriller-Drama geworden, das lustvoll mit der Wechselwirkung von Subjekt und Objekt, von Filmemacher, Film und Darsteller spielt. 
Nachdem „Peeping Tom“ bereits nach fünf Tagen aus den britischen Kinos verschwand, sorgte schließlich Martin Scorsese 1979 dafür, dass der Film in Farbe und vollständig wiederaufgeführt wurde. Seither erfährt Powells Meisterwerk – leider zu spät – die Wertschätzung, die es längst verdient hatte. 

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