Gegen die Wand

Mit nur drei Filmen – „Kurz und schmerzlos“ (1998), „Im Juli“ (2000) und „Solino“ (2002) – hat sich der Deutsch-Türke Fatih Akin innerhalb kürzester Zeit zu einem der interessantesten Filmemacher in Deutschland entwickelt. Statt vor dem steigenden Erfolgsdruck zu kapitulieren und ins Mainstream-Kino abzudriften, setzte Akin mit seinem nächsten Werk noch eins drauf: „Gegen die Wand“ (2004) avancierte zur ersten deutschen Produktion seit Volker Schlöndorffs „Die Blechtrommel“, die auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet worden ist, und präsentierte sich drastisch inszenierte Liebesgeschichte im deutsch-türkischen Milieu.

Inhalt:

Cahit (Birol Ünel) sammelt Gläser in der Hamburger Konzert- und Party-Location „Fabrik“ und haust in einer 1-Zimmer-Wohnung, in der Bierdosen das hervorstechendste Einrichtungsmerkmal darstellen und sich schon in der Spüle stapeln. Des Lebens überdrüssig rast Cahit mit seinem Wagen gegen eine Betonwand, landet aber nicht auf dem Friedhof, sondern in der geschlossenen Abteilung des Krankenhauses in Hamburg-Ochsenzoll, wo ihn die mit verbundenen Handgelenken versehene Sibel (Sibel Kekilli) mit einem Heiratsantrag konfrontiert, damit sie aus der Wohnung ihrer Eltern ausziehen und wild in der Gegend herumvögeln kann. Cahit lässt sich nach einigem Zögern auf diesen ungewöhnlichen Handel ein, doch auch wenn Sibel nach der traditionell ausgerichteten Hochzeit bei Cahit einzieht und vor allem erst einmal für Ordnung und leckere Speisen sorgt, lebt jeder sein eigenes Leben. Cahit vertreibt sich die Zeit mit wildem Sex mit der Friseurin Maren (Catrin Striebeck), gesteht aber Sibel aber nicht das gleiche Recht zu. Nachdem Cahit einen von Sibels Verehrern in der Kneipe totgeschlagen hat und ins Gefängnis muss, zieht es Sibil, die nach diesem Eklat von ihrer Familie verstoßen wurde, nach Istanbul, wo ihr ihre im Hotel arbeitende Cousine Selma (Meltem Cumbul) einen Job als Zimmermädchen besorgt. Doch auch in Istanbul kommt Sibil nicht zur Ruhe und gibt sich selbstzerstörerischen Anwandlungen hin…

Kritik:

Natürlich ist „Gegen die Wand“ vor allem eine Liebesgeschichte. Das wird in den ersten Minuten klar, als die beiden Deutschtürken Cahit und die halb so alte Sibil sich erstmals im Wartebereich eines Psychiaters in Hamburg-Ochsenzoll begegnen, worauf sich die beiden selbstzerfleischenden Individuen irgendwie nicht ohne, aber auch nicht miteinander können. Eindringlich schildern Akin, wie sich aus einer Zweckehe echte Zuneigung entwickelt, die allerdings immer wieder zu extremen Gewaltausbrüchen auch der eigenen Person gegenüber führt. Der in Hamburg-Altona lebende Filmemacher erzählt auch vom Leben der Türken in Deutschland und ihren Wurzeln in Istanbul, wobei er sich wie ein Beobachter des städtischen Treibens sowohl in der deutschen als auch in der türkischen Metropole in Stellung bringt. Durch die großartig aufspielende Sibel Kekilli („Winterreise“, „Die Fremde“) als unangepasste Sibil macht Akin vor allem deutlich, wie schwer es für muslimische Türken ist, sich aus den Konventionen der Gesellschaft zu lösen, in der sie aufgewachsen sind. „Gegen die Wand“ spart dabei nicht an drastischen Darstellungen, sei es in Bezug auf Sex oder körperlicher Gewalt, doch das macht das emotionale Chaos, in denen die beiden Außenseiter stecken, nur umso transparenter. Am Ende ist Akins Film eine deutsch-türkische Liebesgeschichte der ebenso zerstörerischen wie zärtlichen Art, fesselt durch die stringente, offene Inszenierung, die starken Darsteller und den coolen Soundtrack.

Kommentare

Beliebte Posts