Lone Star

John Sayles hat nicht nur die Musikvideos zu Bruce Springsteens Hits „Born in the U.S.A.“, „I’m On Fire“ und „Glory Days“ gedreht, sondern sich vor allem als Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur von Independent-Filmen wie „Stadt der Hoffnung“, „Passion Fish“ und „Silver City“ einen Namen gemacht. 1996 inszenierte er mit „Lone Star“ ein auf zwei Zeitebenen angelegtes, vielschichtiges Kriminaldrama, das gerade vor dem aktuellen Hintergrund von Donald Trumps Plänen, eine Mauer an der Grenze zwischen Mexiko und den USA zu errichten, als Plädoyer für ein multikulturelles Miteinander hochgehalten werden sollte.
In der texanischen Kleinstadt Frontera wird Sheriff Sam Deeds (Chris Cooper) auf ein vierzig Jahre altes Skelett in der Wüste aufmerksam gemacht, in dessen Nähe sich auch noch ein Sheriffstern gefunden wird. Offensichtlich handelt es sich bei der Leiche um einen von Deeds‘ Vorgängern, den als korrupt und rassistisch geltenden Charlie Wade (Kris Kristofferson). Als Handlanger des wohlhabenden Richters drückten beide bei Straftaten gern ein Auge zu, wenn für sie dabei etwas Zählbares heraussprang. Andererseits wurden Menschen, die zu diesen Gefälligkeiten nicht bereit waren, gnadenlos von Wade erschossen.
Einzig Sams Vater Buddy (Matthew McConaughey) bot als Hilfssheriff dem alten Wade die Stirn und gilt nun als Hauptverdächtiger bei der Ermordung seines Vorgesetzten, den er schließlich als Sheriff beerbte. Allerdings könnte der Zeitpunkt für die Ermittlungen nicht ungünstiger sein, denn nach Buddys Tod will die Stadt ihren beliebten Sheriff mit einem Denkmal ehren. Auch Sam hat so seine Probleme mit dem Fall, denn stand die Beziehung zu seinem Vater unter keinem guten Stern, der auch etwas gegen Sams Beziehung zur aus Mexiko stammenden Pilar (Elizabeth Peña) hatte. Je tiefer Sam in die Geschichte seines Vaters eintaucht, desto mehr stößt er auch auf die Problematik der Unterdrückung der in Frontera lebenden Minderheiten – von den 1950er Jahren bis hinein in die heutige Zeit …
Zwar dient der Leichenfund eines vor vierzig Jahren erschossenen Sheriffs als Aufhänger dieses sehr komplex angelegten Kriminaldramas, doch John Sayles, der auch für das Oscar- und Golden-Globe-nominierte Drehbuch verantwortlich zeichnet, geht es in erster Linie um die zwischenmenschlichen Beziehungen in einer grenznahen Stadt, in der seit jeher Indianer, Weiße, Latinos und Schwarze zusammengelebt haben. Die Problematik zeichnet Sayles nicht nur in der damals gescheiterten Beziehung zwischen Sam und der mittlerweile verwitweten, zwei Teenager großziehenden Lehrerin Pilar nach, die es noch einmal miteinander versuchen wollen, sondern auch in den parallelen Handlungssträngen.
So kehrt der afroamerikanische Colonel Delmore Payne (Joe Morton) als Befehlshaber des örtlichen Stützpunkts mit seiner Familie in den Ort seiner Kindheit zurück und versucht vor allem, mit seinem Vater, Kneipenbesitzer Otis Payne (Ron Canada), wieder Kontakt aufzunehmen. Doch zu diesem Entschluss ist er erst durch ein Gespräch mit einer des Drogenkonsums überführten einfachen schwarzen Soldatin gekommen, die ihm bewusst macht, dass Menschen ganz individuelle Lebensentwürfe gestalten können. Um die ganz persönlichen Geschichten der Menschen mit indianischem und mexikanischem Hintergrund geht es auch bei Delmores Vater einerseits und Pilars Mutter Mercedes (Miriam Colon) andererseits, die von ihrem mexikanischen Personal verlangt, Englisch zu sprechen, selbst aber auch als illegale Einwanderin in die USA gelangt ist.
Zugegeben, den einzelnen Geschichten auf den beiden Zeitebenen zu folgen, erfordert viel Geduld, Aufmerksamkeit und eine Loslösung von eingespielten Sehgewohnheiten. Dann macht „Lone Star“ aber durch die oft berührenden Einzelschicksale, nach und nach aufgedeckten Familiengeheimnisse und den mehr oder weniger offen ausgelebten Rassismus auf die Notwendigkeit aufmerksam, einander ohne Blick auf Hautfarbe oder Herkunft zu respektieren und seinen eigenen Weg zu gehen. Dabei überzeugt der Film in formaler Hinsicht ebenso wie durch die Schauspieler, von denen die junge Frances McDormand (als psychisch labile Ex-Frau von Sam Deeds) und Matthew McConaughey ihre ersten größeren Auftritte feiern durften.
"Lone Star" in der IMDb

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