Roma

Mit so unterschiedlichen Filmen wie „Die Traumprinzessin“ (1995), der Charles-Dickens-Adaption „Große Erwartungen“ (1998), der Verfilmung von „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ (2004), dem Science-Fiction-Drama „Children of Men“ (2006) und dem Oscar-prämierten Weltraum-Drama „Gravity“ (2013) hat sich Alfonso Cuarón zu einem der besten Filmemacher dieser Zeit entwickelt. Diesen Status untermauert er mit der Oscar-nominierten Netflix-Produktion „Roma“ eindrucksvoll, denn der Film, der größtenteils auf den Kindheitserinnerungen des Mexikaners beruht und in eindringlich scharfen Schwarz-Weiß-Bildern eigentlich im Kino genossen werden sollte, zählt fraglos zu den schönsten Filmen der letzten Jahre.
Die junge Cleo (Yalitza Aparicio) arbeitet in den 1970er Jahren mit ihrer Kollegin und Freundin Adela (Nancy García) als Haushaltshilfe und Kindermädchen in der mexikanischen Familie von Antonio (Fernando Grediaga) und seiner Frau Sofia (Marina de Tavira) mit ihren vier Kindern und der Großmutter (Verónica García). Doch als Antonio für einen Forschungsauftrag nach Quebec reist, kehrt er nicht mehr zurück. Ähnlich ergeht es Cleo, als sie ihrem Freund Fermín (Jorge Antonio Guerrero) während einer Kinovorstellung gesteht, schwanger zu sein. Wenige Minute später verlässt Fermín das Kino und taucht spurlos unter.
Mit einem letzten Ausflug in Antonios Ford Galaxy, den Sofia gegen ein kleineres Auto eingetauscht hat, reist Sofia mit Cleo und ihren Kindern ans Meer, wo sie ihnen die Wahrheit über den Verbleib ihres Vaters verraten will …
Es ist keine spektakuläre Geschichte, die Alfonso Cuarón in seinem neuen Film erzählt, es ist die Art und Weise, wie er sie erzählt, die „Roma“ bei den Filmfestspielen von Venedig begeisterte und mit zehn Nominierungen (u.a. für den besten fremdsprachigen Film, den besten Film, die beste Regie, das beste Drehbuch und die beste Kameraarbeit) als einer der großen Favoriten in das diesjährige Oscar-Rennen geht. Die stimmungsvolle Schwarz-Weiß-Fotografie verleiht dem poetischen Drama einen nostalgischen Charme, funktioniert aber auch als Brücke zwischen den geschilderten Einzelschicksalen und den politischen Ereignissen jener Zeit, die vor allem in den Studentenunruhen thematisiert werden, wobei Cleo in einem Möbelhaus beobachtet, wie ein junger Mann ganz in ihrer Nähe erschossen wird.
In die unaufgeregten, in langen Kameraeinstellungen festgehaltenen Alltagsszenen webt Cuarón immer wieder dramatische Elemente ein, so der Waldbrand während einer Silvesterfeier, Cleos Einlieferung ins Krankenhaus, nachdem vor zwei Stunden schon ihre Fruchtblase geplatzt war oder die Sequenz, als Cleo am Strand zwei von Sofias Kindern aus den Fluten retten muss. Aber auch Szenen wie eine Wanderung durch die Natur, bei der sich Cleo in ihr eigenes Dorf zurückversetzt fühlt, oder die von Profesor Zovek (Latin Lover) geleiteten Kampfsport-Übungen, an denen Fermín mit seinen Freunden auf einem staubigen Feld abseits der Stadt teilnimmt, machen deutlich, was für ein begnadeter Filmemacher der Mexikaner ist. Dabei geizt Cuarón nicht mit Humor, etwa wenn Antonio den Galaxy absolut akkurat in die enge Einfahrt seines Hauses manövriert, um ja keinen Kratzer in den Lack zu bekommen, und die angetrunkene Sofia nach der Trennung von ihm den Wagen sorglos an der Hauswand entlangschrammt. Die authentisch wirkenden Bilder vom Leben auf den Straßen in Mexiko-Stadt und die teilweise intimen Momente im Alltag der jungen indigenen Angestellten und ihrer weißen Arbeitgeber sorgen ebenso wie die eskalierende Gewalt bei dem Corpus-Christi-Massaker, bei dem mehr als hundert Studenten durch eine paramilitärische Gruppe getötet wurden, immer wieder für großartige Filmmomente, die auf einfühlsame Weise aber auch auf die Klassenunterschiede und den Zusammenhang von Klasse und ethnischer Herkunft thematisieren.
"Roma" in der IMDb

Kommentare

Beliebte Posts