Tess

Seit Roman Polanski Mitte der 1950er Jahre seine Karriere als Regisseur von Kurzfilmen begann, hat der polnische Filmemacher so unterschiedliche Werke wie „Das Messer im Wasser“, „Ekel“, „Tanz der Vampire“, „Rosemaries Baby“, „Chinatown“ und „Der Mieter“ inszeniert, ehe er sich 1979 an die Verfilmung von Thomas Hardys Roman „Tess of the d'Urbervilles“ aus dem Jahre 1891 machte, einem der Lieblingsromane von Polanskis 1969 ermordeter Frau Sharon Tate. Entsprechend persönlich fällt auch Polanskis Bearbeitung des literarischen Stoffes aus, für den er als Titelrolle die junge Nastassja Kinski gewinnen konnte und der 1981 schließlich mit drei Oscars für das Szenenbild, die Kameraarbeit und das Kostümdesign ausgezeichnet wurde.
Durch den Dorfpfarrer erfährt der verarmte Trunkenbold John Durbeyfield (John Collin), dass seine Familie den letzten Ableger der reichen d’Urbervilles darstellt. Um seiner wohlgeratenen Tochter Tess ein besseres Leben zu ermöglichen, schickt er das junge Mädchen zu den d’Urbervilles, wo Tess eine Anstellung auf der Hühnerfarm findet und vor allem von ihrem Cousin Alec d'Urberville (Leigh Lawson) umworben wird. Da sie seinen Avancen nicht nachgibt, wird Tess von Alec nach einem Tanzabend vergewaltigt und empfängt schließlich ein Kind von ihm, das – nachdem Tess resigniert nach Hause zurückgekehrt ist – wenig später stirbt. Tess ist zu stolz, um die Unterstützung von Alec anzunehmen, und sucht sich eine neue Arbeit als Magd auf einem Bauernhof, wo sie den Pfarrersohn Angel (Peter Firth) kennenlernt und ihn schließlich heiratet. Als Angel aber von Tess‘ Vergangenheit erfährt, verstößt er sie und stürzt Tess ins nächste Unglück …
Polanski hat Hardys Romanvorlage als episches Drama inszeniert, das sich bei einer Laufzeit von drei Stunden alle Zeit nimmt, die Lebensumstände einer stolzen, jungen Frau im viktorianischen Zeitalter abzubilden. Die Bilder von Oscar-Preisträger Geoffrey Unsworth („2001: Odyssee im Weltraum“, „Superman“), der während der Dreharbeiten verstarb, schweifen in dezenten Farben über Felder, fangen die anstrengende Arbeit auf dem Land ein und bleiben doch auch immer dicht bei den Figuren, vor allem natürlich bei Tess, die von Nastassja Kinski („Katzenmenschen“, „Paris, Texas“) herrlich unschuldig, stolz und tapfer verkörpert wird, aber auch ihrer in Armut lebenden Familie. Durch ihre liebreizende Ausstrahlung zieht Tess natürlich immer wieder die Aufmerksamkeit der Männer auf sich, die aber jedes Mal großes Leid über sie bringen.
Das Ende wirkt dann doch etwas arg dick aufgetragen, doch Polanski ist mit „Tess“ ein atmosphärisch dichtes, wunderbar fotografiertes und gespieltes Liebes- und Gesellschaftsdrama gelungen, das sich viel Zeit nimmt, nicht nur Tess‘ ganz persönliche Tragödie einfühlsam zu erzählen, sondern die sozialen Gegebenheiten im viktorianischen England abzubilden, als sich die guten Herrschaften nach Belieben am einfachen Volk vergehen konnten. Die streng geordneten Beziehungen zwischen Kirche, der besseren Gesellschaft und der hart arbeitenden Bevölkerung steht immer wieder im Mittelpunkt der epischen Erzählung, so dass Tess‘ Tragödie von Beginn an beschlossene Sache zu sein scheint. Mit „Tess“ hat Polanski auf jeden Fall seiner Werksbiografie ein in jeder Hinsicht besonders stimmiges Gesellschaftsportrait hinzugefügt.
"Tess" in der IMDb

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