Der Junge muss an die frische Luft

Bereits mit seiner 2006 veröffentlichten Biografie „Ich bin dann mal weg“ hat es der Recklinghausener Unterhaltungskünstler und Moderator Hans-Peter „Hape“ Kerkeling geschafft, das Buch zu einem Bestseller und dessen Verfilmung zu einem Kinohit werden zu lassen. Nachdem der mittlerweile aus dem Showgeschäft ausgestiegene Kerkeling 2014 mit „Der Junge muss an die frische Luft. Meine Kindheit und ich“ eine Biografie über seine prägenden Kindheitsjahre folgen ließ, legt nun Caroline Link („Nirgendwo in Afrika“) eine ebenso humorvolle wie einfühlsame Verfilmung vor, die durch ein authentisches 1970er-Jahre-Setting ebenso überzeugt wie Julius Weckauf als junger Hape Kerkeling.
1972 ziehen Heinz Kerkeling (Sönke Möhring) und seine Frau Margret (Luise Heyer) mit ihren Kindern Hans-Peter (Julius Weckauf) und Matthes (Jan Lindner) aus dem ländlichen Bocholt ins Haus der Großeltern Änne (Hedi Kriegeskotte) und Willi (Joachim Król) nach Recklinghausen. Während der Vater ständig auf Montage ist, kümmert sich seine Frau nicht nur um die Erziehung der Kinder, sondern auch um die noch lange nicht abgeschlossenen Sanierungs- und Renovierungsarbeiten im Haus.
Hans-Peter hat es wegen seines leichten Übergewichts anfangs zwar etwas schwer in der Schule, aber durch seine humorvolle Art kommt er auch hier immer besser zurecht. Vor allem bei Besuchen im Krämerladen seiner Oma Änne und bei Familienfeiern wie Karneval und Silvester trumpft Hans-Peter mit gelungenen Imitationen und Vorführungen auf. Mit diesem Talent versteht er vor allem seine Mutter immer wieder zuverlässig aufzumuntern, wenn sie vor Stress und Müdigkeit am Boden zu sein scheint. Doch als sie wegen einer chronischen Kiefernhöhlenerkrankung operiert wird, verliert sie nicht nur ihren Geruchs- und Geschmackssinn, sondern auch ihre Lebenslust …
Mit seinen beiden Bestsellern hat der vielseitig talentierte Entertainer Hape Kerkeling sich jeweils nur auf zwei Kapitel seines Lebens beschränkt. Während er in „Ich bin dann mal weg“ die Erlebnisse seiner Pilgerreise nach Santiago de Compostela im Jahr 2001 rekapitulierte, die er nach einem Hörsturz und dem Verlust seiner Gallenblase angetreten hatte, beschränkte er sich in „Der Junge muss an die frische Luft“ allein auf die ihn prägenden Kindheitsjahre und die ersten Erfahrungen im Showgeschäft.
Caroline Link, die sich nur alle paar Jahre mit einem Filmprojekt befasst, das ihr dann besonders am Herzen liegt – wie „Jenseits der Stille“ (1996), „Nirgendwo in Afrika“ (2001), „Im Winter ein Jahr“ (2008) und zuletzt „Exit Marrakech“ (2013) – hat sich in der Verfilmung des jüngsten Kerkeling-Bestsellers ganz auf die frühen 1970er Jahre fokussiert, die mit dem Umzug seiner Familie ins Haus seiner Großeltern nach Recklinghausen beginnen und wo er vor allem von seiner Oma dazu erzogen wird, das zu machen, was ihm gefällt, und nicht auf das zu hören, was andere sagen. Sie kauft dem Jungen nicht nur ein Pferd, sondern lässt sich mit ihm auch auf einer offenen Pferdekutsche durch die Straßen der Kleinstadt ziehen, um die neidischen wie amüsierten Blicke der Nachbarschaft auf sich wirken zu lassen. Ein besonderes Verhältnis verbindet Hape natürlich mit seiner Mutter, die er anfangs noch sehr leicht durch seine komödiantischen Auftritte zum Lachen bringen kann, nach der misslungenen Operation aber kaum noch.
So sehr die Filmemacherin auch die warmherzigen und urkomischen Momente betont, lässt sie der Geschichte doch genügend Raum, um die besonders herzlichen Beziehungen innerhalb der Familie herauszuarbeiten, die nicht nur trinkfreudig zu feiern versteht, sondern auch in Krisenzeiten durch dick und dünn miteinander geht. Dass der Film so gut funktioniert, liegt vor allem an der großartigen Darstellung von Julius Weckauf in seinem ersten Film. Er verkörpert den jungen Hape Kerkeling absolut authentisch, und der Zuschauer fühlt sich auch durch die sorgfältige Rekreation der 1970er Jahre mit den knallbunten und wild gemusterten Klamotten, den charismatischen Automobilen und den Einrichtungen in jene Zeit zurückversetzt, die für den jungen Hape die wohl glücklichste wie schwerste Zeit bedeutete. Dieses einfühlsame Portrait macht aber auch deutlich, dass für Hape sowieso nur eine Karriere im Showgeschäft infrage kam, denn schon früh wurde ihm eingetrichtert, dass er alles erreichen könne, wenn er nur stark genug daran glaube. Das Talent, das Hape nicht nur in familiärer Atmosphäre, sondern auch bei einer Schulaufführung zur Schau stellte, steckt zweifellos auch in Julius Weckauf, so dass seine weitere Karriere auch zu beobachten sein wird.
Caroline Link ist mit der Verfilmung von „Der Junge muss an die frische Luft“ jedenfalls ein rundherum überzeugender Einblick in die offensichtlich wichtigste Phase von Hape Kerkelings Entwicklung zum allseits beliebten Entertainer gelungen, darüber hinaus aber auch eine stimmige Milieustudie mit sorgfältiger, wenn auch etwas nostalgisierender Rekonstruktion des 1970er Ruhrputt-Charmes.
"Der Junge muss an die frische Luft" in der IMDb

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