12 Uhr nachts - Midnight Express
Nachdem der britische Filmemacher Alan Parker mit seinem Debüt „Bugsy Malone“ (1976) - einer ungewöhnlichen Mischung aus Gangsterfilmparodie mit musikalischen Revue-Einlagen - eine erste Oscar-Nominierung (für die beste Musik) einfahren durfte, ließ er mit seinem nächsten Film ganz Hollywood aufhorchen. „Midnight Express“ (1978) basiert auf der gleichnamigen, autobiografischen Buch von Billy Hayes, der 1970 wegen eines Drogendelikts auf dem Flughafen von Istanbul verhaftet und am Ende zu 30 Jahren Haft verurteilt wurde.
Der amerikanische Student Billy Hayes (Brad Davis) hat mit seiner Freundin Susan (Irene Miracle) Urlaub in der Türkei gemacht und plant, einige an seinem Körper festgeklebte Päckchen mit Haschisch zurück in die USA zu schmuggeln, um sie dort an seine Freunde zu verkaufen. Die Nervosität bei der Abfertigung am Flughafen von Istanbul bringt ihn fast um, doch bei der Kontrolle wird nur seine Tasche durchsucht. Die türkischen Sicherheitsbehörden sind allerdings nach mehreren Terroranschlägen auf Flugzeuge in höchster Alarmbereit und führen bei den Passagieren direkt vor dem Besteigen der Maschine eine weitere Kontrolle durch. Während Susan unbehelligt das Flugzeug betreten kann, hat Billy diesmal nicht so viel Glück und wird wegen des versuchten Schmuggels von immerhin zwei Kilo Haschisch festgenommen. Zwar ist recht schnell der amerikanische Geheimdienstler Tex (Bo Hopkins) vor Ort, doch einen möglichen Deal verpfuscht Billy durch einen überhasteten und schließlich gescheiterten Fluchtversuch.
Billys aus den USA angereister Vater (Mike Kellin) engagiert zwar einen ortsansässigen Anwalt und kontaktiert das State Departement, doch da die Vereinigten Staaten haben durch die Nixon-Ad¬ministration in der Türkei keinen guten Stand, so dass sich Billy tatsächlich vor einem türkischen Gericht verantworten muss, das ihn zu vier Jahren Haft in einem primitiven Gefängnis verurteilt. Unter menschenunwürdigen Umständen teilt er das Schicksal vieler weiterer Insassen, die zumeist aus Europa und den USA stammen und wegen geringfügiger Vergehen zu unangemessen harten Strafen verurteilt wurden. Billy freundet sich mit dem stillen Max (John Hurt), dem Schweden Erich (Norbert Weisser) und dem temperamentvollen Amerikaner Jimmy (Randy Quaid) an, der bereits einen Fluchtplan schmiedet. Billy will davon zunächst nichts wissen, doch zwei Monate vor seiner vermeintlichen Entlassung wird Billys Prozess noch einmal neu verhandelt, nachdem der Staatsanwalt erfolgreich Berufung gegen das ursprüngliche Urteil eingelegt hat.
Beim neuen Prozess wird Billy zu dreißig Jahren Haft verdonnert.
Nun kann ihn nur der sogenannte „Midnight Express“ aus dem Gefängnis holen, die Flucht.
Da der Insasse Rıfkı (Paolo Bonacelli) von dem Fluchtplan erfährt und als Informant für die Gefängnisleitung arbeitet, scheitert nicht nur der Fluchtversuch, sondern Rıfkı schiebt zudem Max ein weiteres Vergehen in die Schuhe schiebt, worauf dieser brutal gefoltert und in die Nervenheilanstalt des Gefängnisses verlegt wird. Dort landet auch Billy, nachdem er Rıfkı wegen dieser Ungerechtigkeit umgebracht hat…
Kritik:
Mit seinem Oscar-prämierten Drehbuch zu „Midnight Express“ hat sich Oliver Stone gleich zu Beginn seiner Karriere einen Namen in Hollywood machen und sich in den folgenden Jahrzehnten als politisch ambitionierter und gesellschaftskritischer Autorenfilmer etablieren können. Dabei hat er die in dem Film geschilderten Verhältnisse in den türkischen Gefängnissen offensichtlich überdramatisiert, was zunächst Billy Hayes kritisierte und dann auch dazu führte, dass sich Stone bei seinem Besuch in der Türkei beim türkischen Volk nicht nur für seine unangemessene Schilderung der Zustände in den Haftanstalten dort, sondern auch für die Charakterisierung der Wärter als sadistische, schmierige Folterknechte entschuldigte.
Schließlich wurde der Film direkt nach der Veröffentlichung in der Türkei verboten und auch in befreundeten Ländern wie Israel nicht gezeigt. Doch von der überzeichneten Beschreibung der Behandlung ausländischer Häftlinge in türkischen Gefängnissen, der willkürlich brutalen Justiz und des damit verbundenen Rassismus abgesehen, schildert „Midnight Express“ (dessen deutscher Beititel „12 Uhr nachts“ absolut keinen Sinn macht) einfach das mitleiderregende Schicksal von Menschen, denen durch die Justiz erhebliches Unrecht widerfahren ist und die für ihre meist geringfügigen Straftaten einen unangemessen hohen Preis zahlen müssen.
Parker ging es nicht darum, per se das türkische Rechtssystem zu diffamieren, er wollte vor allem einen Film über Unrecht machen. Und das ist ihm auf eindringliche Weise gelungen. „Midnight Express“ hält sich nicht lange mit der Einführung der Figuren auf. Ohne dass wir Billy kennengelernt haben, fiebern wir unmittelbar mit, wenn er am Flughafen versucht, seine Nervosität in den Griff zu bekommen. Wir hören seinen hämmernden Herzschlag und sehen den Schweiß, der von seinem Gesicht strömt. Die Gefangennahme, die Begegnungen mit dem amerikanischen Geheimdienst, Billys Vater und dem Rechtsanwalt werden in aller Kürze abgehandelt, so dass sich die Filmhandlung ganz auf das triste Leben im Gefängnis fokussiert.
Hier lässt sich der körperliche wie seelische Verfall, befeuert durch Folter und desolate hygienische Zustände, fast spürbar nachvollziehen. Besonders die Szenen in der Nervenheilanstalt, wo die Insassen tumb im Kreis wandeln, machen deutlich, wie aus Menschen seelenlose, abgestumpfte und gebrochene Kreaturen werden. Das führt auch Susans Besuch vor Augen, die einen völlig heruntergekommenen Billy antrifft, der kaum ein Wort sprechen kann und sich nur verzweifelt einen runterholt, als Susan ihre nackten Brüste an das Trennglas presst.
In dieser wie in anderen Szenen, die in eindringlich verstörenden Bildern die Zerrüttung menschlicher Grundzüge zeigen, hat Parkers Film seine stärksten Momente, die von Giorgio Moroders Oscar-prämierten elektronischen Score adäquat untermalt werden.
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