Lost Highway
Verstörende und eigenwillige Filme hat David Lynch seit seinem zum Kultfilm avancierten Langfilm-Regiedebüt „Eraserhead“ (1977) schon immer gemacht, aber seit „Blue Velvet“ (1986) scheint Lynch wirklich seinen Stil gefunden zu haben, der ihn zu einem einzigartigen Arteur der amerikanischen Filmlandschaft macht. Nach dem wilden Road Movie „Wild at Heart“ (1990), der langjährigen Beschäftigung mit der Fernsehserie „Twin Peaks“ und dem nachfolgenden Prequel „Twin Peaks: Fire Walk With Me“ (1992) ließ sich Lynch allerdings sehr viel Zeit, bis er mit „Lost Highway“ (1997) einen weiteren Kinofilm folgen ließ. Doch das Warten hat sich gelohnt: „Lost Highway“ setzt sich auf vielschichtige Weise mit der Frage auseinander, wie wir unser Leben gestalten, wenn wir noch einmal neu anfangen könnten.
Inhalt:
In der Ehe des Saxophon-Spielers Fred Madison (Bill Pullman) mit Renee (Patricia Arquette) steht es nicht zum Besten. Der Sex läuft lieblos routiniert ab, die Gespräche bleiben oberflächlich. Als Renee ankündigt, ihn nicht in den Club begleiten und stattdessen zuhause lesen zu wollen, wird Fred argwöhnisch und ruft in einer Spielpause zuhause an, doch nimmt niemand den Hörer ab. Später findet er seine Frau schlafend im Bett vor. Auf einer Party bei dem Playboy Andy (Michael Massee), den Fred verdächtigt, eine Affäre mit Renee zu haben, lernt Fred einen mysteriösen Fremden (Robert Blake) kennen, der ihm mitteilt, dass er sich zum jetzigen Zeitpunkt in Freds Haus aufhalte. Passend zu dieser merkwürdigen Aussage sind die unbeschrifteten Video-Cassetten, die Renee und Fred vor ihrem Haus vorfinden. Zunächst ist nur eine kurze Schwarzaufnahme ihrer Hausfront auf dem Tape zu sehen, doch auf einem späteren Tape schwebt die Kamera bis ins Schlafzimmer hinein, wo sie von der Decke aus die Schlafenden im Bett aufnimmt. Das Paar informiert die Polizei, doch die Detectives können bei einem Kontrollgang rund um das Haus nichts Verdächtiges entdecken. Als das nächste Videoband allerdings zeigt, wie Fred seine Frau tötet, wird er des Mordes angeklagt und zum Tode verurteilt. Während er die Zeit bis zu seiner Hinrichtung absitzt, wird Fred von starken Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit geplagt. Eines Tages finden ein Wärter bei seinem Kontrollgang durch den Zellentrakt allerdings einen anderen Mann in Freds Zelle vor.
Wie sich herausstellt, handelt es sich um den Automechaniker Pete (Balthazar Getty), der sich allerdings an nichts erinnern kann und nach Hause entlassen wird, wo er nicht mal seine Freundin Sheila (Natasha Gregson Wagner) wiedererkennt. Als er seinen Job in der Autowerkstatt wieder aufnimmt, unternimmt er mit dem einflussreichen Mr. Eddy (Robert Loggia) eine Spritztour und verguckt sich in dessen Geliebte Alice (Patricia Arquette), die Pete ein verlockendes, aber gefährliches Angebot macht…
Kritik:
Wer die früheren Werke von David Lynch kennt, weiß um seine Vermeidung konventioneller Erzählstrukturen, auch um die traumähnliche Atmosphäre, die ebenso auf der Bild- als auch auf der Tonebene zum Ausdruck kommt. Mit „Lost Highway“ hat Lynch in dieser Hinsicht noch einmal an der Intensität der Wirkung seiner düsteren Bilderwelten geschraubt. Bereits der Vorspann mit über den nächtlichen Asphalt rasenden Scheinwerfern bereitet Lynch sein Publikum auf eine wilde Fahrt ohne bestimmtes Ziel vor.
Mit Renee und Fred stellt er uns schließlich ein Ehepaar vor, das sich nur noch selten zum Lachen bringt, routinierten Sex abspult, der Renee nicht befriedigt, und oberflächliche Unterhaltungen führt. Für diese Charakterisierung braucht Lynch nur wenige Szenen. Bei Renee ist es schließlich der leere Blick zur Decke, während sich Fred auf ihr abmüht, der deutlich macht, wie sehr sie sich ein anderes Leben wünscht, bei Fred der sehnsuchtsvolle Blick zum „Exit“-Schild in dem Club, in dem er spielt. Indem Lynch Fred in seiner Gefängniszelle zum Automechaniker Pete und Renee parallel dazu zur blonden Femme fatale Alice werden lässt, spielt er geschickt die Möglichkeiten, aber auch die Gefahren eines anderen Lebens durch. Für Fred ist Pete ein jüngeres und vor allem potenteres Alter Ego. Die Verbindungen zwischen ihnen werden immer wieder deutlich. Während Fred zu Beginn des Films an der Haustüranlage die anonyme Information erhält, dass Dick Laurent tot sei, taucht dessen Name später in der Pete-Erzählung wieder auf, weil es der Name ist, unter dem Mr. Eddy bei der Polizei bekannt ist. Und die wilden Saxophon-Improvisationen aus dem Radio, die Pete in der Werkstatt fast zum Wahnsinn treiben, entsprechen Freds Saxophon-Spiel im Club.
Lynch spielt geschickt mit Farben, Symbolen, psychologischen Deutungen, um immer neue Querverweise zwischen den Doppel-Identitäten zu schaffen, wobei der kongeniale, von Trent Reznor produzierte Soundtrack und die Score-Kompositionen von Angelo Badalamenti und Barry Adamson ihren Teil beitragen. Gerade die Stücke von David Bowie, Smashing Pumpkins, Marilyn Manson, This Mortal Coil und Rammstein (die durch die im Film verwendeten Songs „Rammstein“ und „Heirate mich“ auch international bekannt wurden) untermalen passend die alptraumhafte Atmosphäre von „Lost Highway“.
Was den Film so spannend macht, sind nicht nur die verstörenden Bilder und Handlungssequenzen, sondern auch die vielseitigen Interpretationsmöglichkeiten.
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