Eraserhead

David Lynch ist vor allem für seine verstörende Mystery-TV-Serie „Twin Peaks“ und so unterschiedliche Werke wie das noch ganz konventionell erzählte, in Schwarzweiß gedrehte Drama „Der Elefantenmensch“, die unausgegorene Adaption von Frank Herberts Sci-Fi-Klassiker „Dune – Der Wüstenplanet“ und das surreal anmutende Road-Movie-Liebesdrama „Wild at Heart“. Seinen Ruf als eigenwilliger Autorenfilmer begründete Lynch aber schon mit seinem Langfilmdebüt „Eraserhead“ (1977), der bereits etliche Elemente seiner späteren Filme enthielt und längst über die anfänglichen Mitternachtsvorstellungen hinaus zum Kultfilm avanciert ist. 

Inhalt: 

Henry Spencer (Jack Nance) lebt das zurückgezogene Leben eines einsilbigen Druckers, der in seinem Urlaub nichts mit sich anzufangen weiß. Überrascht nimmt er die Nachricht seiner attraktiven Zimmernachbarin (Judith Roberts) entgegen, dass ihn seine Ex-Freundin Mary (Charlotte Stewart) zum Essen bei ihrer Familie eingeladen hat. Dabei hat er Marys Bild schon zerrissen. So wirklich wohl fühlt sich Henry bei seinem Besuch nicht. Mary gibt sich sehr zurückhaltend, die resolute Mutter (Jeanne Bates) führt die Unterhaltung, der ewig grinsende Vater (Allen Joseph) mit dem tauben Arm drängt Henry dazu, etwas von sich zu erzählen und die synthetischen Hähnchen zu tranchieren. Henrys ungeschickte Bemühungen lassen eine dunkle Flüssigkeit aus dem Geflügel treten und es mit den Keulen zappeln. Marys Mutter verlässt mit schnappender Atmung den Tisch, dann folgt ihr die weinerliche Tochter. 
Kurz darauf verlangt die Mutter von Henry zu wissen, ob er Geschlechtsverkehr mit ihrer Tochter gehabt habe, worauf er nur stammelt, dass sie das wohl nichts angehe. Doch offensichtlich hat Mary ein zu früh geborenes Kind geboren, das eher wie ein Kalb als ein Mensch aussieht. Henry nimmt Mary und das Baby in seine düstere Einzimmerwohnung auf, doch als Mary das ewige Geschrei des Babys nicht mehr erträgt, zieht sie zu ihren Eltern zurück und lässt Henry mit der Kreatur allein. Während Henry Tag und Nacht mit dem Baby beschäftigt ist, vermischen sich in seiner Wahrnehmung zunehmend die Wirklichkeit mit verstörenden Träumen und Visionen, bis er nur noch einen Ausweg sieht… 

Kritik: 

Als sich David Lynch 1970 um einen Studienplatz am AFI Center for Advanced Film Studies bewarb, musste er einen fertigen Film („The Grandmother“) und das Skript für ein neues Filmprojekt einreichen. Nachdem seine anfängliche Idee mit dem Titel „Gardenback“ verworfen wurde, legte Lynch ein 21-seitiges Skript vor, von dem die Juroren annahmen, dass daraus ein 21 Minuten langer Film werden würde. Tatsächlich war „Eraserhead“ von Beginn an als Langfilm konzipiert, dessen Realisierung sich allerdings über Jahre hinzog. Doch Lynch wollte keine halben Sachen machen, was dem fertigen Film auch anzusehen ist. Dass das Drehbuch dazu nur 21 Seiten umfasst, liegt nicht nur an dem rudimentär verwendeten Gebrauch von Sprache, sondern auch an der unkonventionellen Dramaturgie, die sich allen Konventionen entzieht. Schon die Film-Eröffnung legt den Grundstein für ein schwer zu fassendes Unbehagen, wenn der Körper von Henry Spencer waagerecht durch das Bild schwebt und dann den Blick auf einen Planeten freigibt, dessen Kraterlandschaft durch das Fenster, aus dem ein Mann mit Kratern auf seiner Haut blickt, gut sichtbar ist. Mit dieser Szene macht Lynch deutlich, dass ihm nicht an einer konventionell erzählten Geschichte liegt. Vielmehr sind es eigene Erinnerungen, Erfahrungen und Träume, die er auf schwer interpretierbare Weise zu bewegten Bildern verarbeitet. Dem Zuschauer bleibt es selbst überlassen, was er aus diesen Bildern macht. 
Auf jeden Fall gelingt es Lynch, sein Publikum zu verunsichern, wenn er mit vertrauten Sehgewohnheiten bricht. Geschickt verknüpft er das Organische mit dem Mechanischen, missbraucht die offensichtlich tote Großmutter von Mary als Küchenmaschine, lässt Henrys Kopf im Traum zu Radiergummis verarbeiten, setzt mit Hebeln Geburtsvorgänge in Gang. Das Hässliche und das Schöne gehen in „Eraserhead“ wie später auch in anderen Werken von David Lynch Hand in Hand. Es würde nicht überraschen, wenn sich H.R. Giger, der „Eraserhead“ zu seinen Lieblingsfilmen zählte, durch die mutierte Frühgeburt zu seinem „Alien“ hat inspirieren lassen. 
Mag sein, dass David Lynch sich von der Industrielandschaft von Philadelphia, in der er aufgewachsen ist, ebenso beeinflussen ließ wie von der Geburt seiner Tochter Jennifer, die mit Klumpfüßen auf die Welt kam, aber es ist vor allem der Zerfall der bürgerlichen Familie und persönlichen Bindungen, die das triste Weltbild von „Eraserhead“ prägen. Der alleinlebende Henry wird kurz in den Schoß der Familie seiner Ex-Freundin gezogen, nur um sich dann 24 Stunden am Tag mit einer Missgeburt zu beschäftigen, nachdem ihn Mary schon wieder verlassen hat. 
Selbst die attraktive Nachbarin wendet sich nach einem kurzen Techtelmechtel wieder von Henry ab, nachdem sie einen Blick auf das entstellte Baby geworfen hat. Dazu präsentiert Lynch eine Vielzahl verstörender Bilder von Nabelschnüren, die aus einem Körper gezogen werden, von dem Aufschneiden des Kindes, das daraufhin einen undefinierbaren Schaum produziert, von Würmern, die vom Himmel fallen und zertreten werden, von verschiedensten körperlichen Ausbuchtungen und Entstellungen. Damit ist er vom Body Horror eines David Cronenberg nicht weit entfernt, doch letztlich spielt sich die Geschichte von „Eraserhead“ nur in Henrys Kopf ab, und Lynch verwendet geschickt die filmischen Mittel von Montage, Beleuchtung und Sounddesign, um den Zuschauer direkt in den Kopf seines Protagonisten zu führen, der sich nichts sehnlicher zu wünschen scheint, als aus seinem sozialen Gefängnis auszubrechen.  

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