Wild at Heart
Die Selbstzweifel, die David Lynch nach der an den Kinokassen fulminant gescheiterten Adaption von Frank Herberts Sci-Fi-Klassiker „Dune“ (1984) befielen, lösten sich zum Glück nach seinem darauffolgenden Meisterwerk „Blue Velvet“ (1986) in Wohlgefallen auf, konnte er seinen Kritikern doch eindrucksvoll beweisen, dass seine eigenwilligen künstlerischen Visionen auch bei einem größeren Publikum ankommen, wenn er nur seine gestalterische Freiheit ausleben kann. In diesem Geist ist 1990 auch die Verfilmung von Barry Giffords Auftaktroman seiner „Sailor & Lula“-Reihe entstanden. David Lynch machte aus der Buchvorlage „Wild at Heart“ einen wahnwitzig pulsierenden Roadtrip voller Romantik, sexueller Leidenschaft, Verrat und brutaler Gewalt.
Inhalt:
Die Liebe, die ihre 18-jährige Tochter Lula Pace (Laura Dern) für Sailor Ripley (Nicolas Cage) empfindet, ist der skrupellosen Marietta Fortune (Diane Ladd) so ein Dorn im Auge, dass sie Lulas Liebhaber bei einer Feier in Cape Fear erst auf der Toilette zu verführen versucht, und als das nicht klappt, den schwarzen Killer Bob Ray Lemon (Gregg Dandridge) damit beauftragt, Sailor abzustechen. Doch Sailor wird im entscheidenden Moment von Lula wegen des Messers gewarnt und bringt seinen Angreifer mit bloßen Händen um, wofür er knapp zwei Jahre wegen Totschlags einsitzen muss. Lula holt ihn am Ende seiner Haftstrafe nicht nur vom Gefängnis ab, sondern bringt ihm auch seine geliebte Schlangenlederjacke mit, die für ihn ein Symbol für seine Individualität und den Glauben an die persönliche Freiheit verkörpert.
Das Liebespaar flieht in Richtung New Orleans, will ein neues Leben beginnen. Doch das versucht Marietta nach wie vor mit allen Mitteln zu verhindern. Sie heuert nicht nur den ihr hörigen Detektiv Johnnie Farragut (Harry Dean Stanton) an, ihre Tochter zu ihr zurückzubringen, sondern beauftragt auch den skrupellosen Gangster Marcello Santos (J. E. Freeman) damit, Sailor umzubringen, der dabei aber auch Farragut aus dem Weg räumen will. Marietta will jedenfalls verhindern, dass Sailors mögliche Kenntnis von den Umständen, wie ihr Mann vor einigen Jahren ums Leben gekommen ist, sie ins Gefängnis bringen könnte.
Während die Verfolger Lula und Sailor immer näher kommen, lernen das Liebespaar unterwegs in der Wüste den dubiosen Bobby Peru (Willem Dafoe) kennen, der nicht nur ein Auge auf Lula wirft, sondern Sailor auch dazu animieren will, bei einem vermeintlich sicheren Bankraub mit Leichtigkeit das Startkapital für sein neues Leben zu verdienen…
Kritik:
Bereits in „Blue Velvet“ erkannte die von Laura Dern gespielte Sandy, dass wir in einer seltsamen Welt leben, nachdem ihre zuvor heile Welt durch die Bekanntschaft mit Jeffrey und seine Neugier, hinter das Geheimnis des von ihm gefundenen abgeschnittenen Ohrs zu kommen, irreparable Risse erfahren hatte, auch wenn ihr Freund am Ende das personifizierte Böse in Gestalt von Frank Booth mit einem Kopfschuss töten konnte. Bei „Wild at Heart“ verzichtet David Lynch auf die trügerische Idylle und konfrontiert die Zuschauer gleich zu Beginn mit einem brutalen Gewaltakt. Zu den schnellen Gitarrenriffs von Powermads „Slaughterhouse“ zerschmettert Sailor Ripley den Kopf seines Angreifers auf dem weißen Marmorboden zu Brei und landet folgerichtig im Gefängnis.
Dieser Auftakt führt die drei Hauptfiguren auf beunruhigend intensive Weise ein, den Elvis-mäßigen Rockertypen Sailor, die lolitahafte Lula und ihre intrigante Mutter, die den Vorfall scheinbar ungerührt beobachtet, aber indem Sailor nach seiner Tat mit dem Finger auf sie zeigt, ist die Konstellation zwischen Mutter, Tochter und ihrem Liebhaber schon vorgezeichnet. Dieser Vorfall bindet Sailor und Lula nur noch fester aneinander. Nach seinem Gefängnisaufenthalt machen sie sich auf den Weg in ein neues Leben, doch Lynch inszeniert diese Reise nicht als klassisches Road Movie. Die einzelnen Stationen, die Sailor und Lula anfahren, sind unpersönliche Orte, an denen sie sich durch intensiven Sex nahe fühlen, miteinander verschmelzen und dabei komplett die Außenwelt ausblenden. Von ihren Verfolgern wissen sie nichts, ihnen fehlt es nur an Geld, um ihren nicht näher definierten Traum zu realisieren.
Das Feuer, das in „Blue Velvet“ nur in vergrößerten brennenden Streichhölzern die Hölle symbolisierte, ist in „Wild at Heart“ omnipräsent, vor allem in den Rückblenden, in denen Lulas Vater als brennende Fackel durch das Haus läuft, bis das ganze Haus in Flammen steht. Mit ihrer Liebe zu wilder Rockmusik und leidenschaftlichem Sex versuchen sich Sailor und Lula von der grausamen Welt da draußen abzukapseln, doch das Böse holt sie immer wieder ein, vor allem in Gestalt des hässlichen Bobby Peru, der wie ein Pendant zu Frank Booth aus „Blue Velvet“ wirkt.
Lynch bedient sich laufend deutlicher Verweise auf „The Wizard of Oz“, um beispielsweise das Böse mit den Bildern einer in der Nacht am Himmel reitenden bösen Hexe aus dem Osten gleichzusetzen oder Lulas rote Schuhe einzublenden, mit denen sich Lula nach Oz zu beamen wünscht, nachdem sie Bobby Peru allein durch sein „Fick mich!“-Mantra vergewaltigt hat.
Am Ende taucht auch noch die gute Fee (Sheryl Lee) in einer Seifenblase auf, um Sailor den Weg zu seinem Glück zu weisen.
Eindringlicher und verstörender sind Lynch allerdings die eher beiläufig eingeblendeten Rückblicke oder Nebenhandlungen gelungen, etwa die Vergewaltigung der damals dreizehnjährigen Lula durch ihren Onkel, die anschließende Abtreibung oder der Autounfall auf nächtlicher Straße, bei dem Sailor und Lula auf eine junge Frau (Sherilyn Fenn) mit schwerer Kopfverletzung stoßen, die erst verwirrt nach ihrer Tasche sucht und dann in Sailors Armen stirbt.
Dass sich Sailor und Lula durch all diese schrecklichen Erlebnisse nicht von ihrem Weg und ihrer Liebe abbringen lassen, mag am Ende das Publikum am Ende mit der zuvor gezeigten Manifestation des Bösen versöhnen, doch verstörend bleibt „Wild at Heart“ dennoch.
Das liegt auch an dem hervorragenden Soundtrack, der neben den Kompositionen von Angelo Badalamenti, Richard Strauss‘ „Im Abendrot“ und Glenn Millers „In the Mood“ auch Songs von Chris Isaak, Powermad, Them sowie Nicolas Cages Darbietungen der Elvis-Songs „Love Me“ und „Love Me Tender“ enthält, sowie den großartigen Darstellern.
Während Laura Dern in „Blue Velvet“ noch das unschuldige Kleinstadtliebchen verkörperte, darf sie in „Wild at Heart“ die lüsterne Lolita spielen, die nur gute Rockmusik und Sailor braucht, um glücklich zu sein. Nicolas Cage wirkt mit seiner Schlangenlederjacke nicht von ungefähr wie ein Abbild von Marlon Brandos Figur in Sidney Lumets „Der Mann in der Schlangenhaut“ (1960), verkörpert er doch den typischen Marlon-Brando-Rebellen der 1950er Jahre.
Aber auch Laura Derns Mutter, Diane Ladd, als Lulas hysterische Mutter, Harry Dean Stanton als verweichlichter Detektiv und Willem Dafoe als schmierig-hässlicher Bösewicht machen „Wild at Heart“ zu einem Ereignis, das wie kein Film von David Lynch zuvor dazu geführt hat, dass man seine Werke entweder liebt oder hasst.
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