Birdy
Das Werk des britischen Filmemachers Alan Parker (1944-2020) ist schwer einzuordnen. Zunächst schien es, als wäre er auf musikalische Filme spezialisiert – nach der mit Kinderdarstellern realisierten und mit Gesangs- und Tanznummern angereicherten Gangsterfilm-Parodie „Bugsy Malone“ (1976) realisierte Parker noch das Tanzfilm-Drama „Fame – Der Weg zum Ruhm“ (1980) und die Pink-Floyd-Rock-Oper „The Wall“ (1982) -, und das erschütternde Gefängnisdrama „Midnight Express“ (1978) sei nur ein Zwischenspiel gewesen. Doch dann legte Parker 1984 mit „Birdy“ ein Drama vor, das ähnlich wie „Midnight Express“ ein Plädoyer für die Menschlichkeit darstellt.
Die beiden Jugendfreunde Al Columbato (Nicolas Cage) und „Birdy“ (Matthew Modine) kommen mit unterschiedlichen Wunden aus dem Vietnam-Krieg zurück. Sergeant Al Columbato trägt nach einer schweren Kopfverletzung, die eine Hauttransplantation nach sich zog, einen umfassenden Kopfverband, Birdy hat dagegen mentale Probleme und wird in einer psychiatrischen Einrichtung des Militärs betreut, wo der ihn behandelnde Dr. Weiss (John Harkins) kein Mittel findet, um Birdy zum Sprechen zu bewegen. Stattdessen hockt der junge Mann meist zusammengekrümmt in einer Ecke seiner Zelle und starrt zum Fenster hinaus. Dr. Weiss lässt nach Al schicken, weil er durch ihn einen Durchbruch in Birdys Behandlung erhofft. Tag für Tag stattet Al seinem Freund einen Besuch ab und lässt gemeinsame Erinnerungen wieder aufleben.
Von Beginn ihrer Freundschaft an war Birdy ein introvertierter Außenseiter, der lieber wie ein Vogel im Baum hockte, als mit den anderen Jungs auf dem Feld nebenan Baseball zu spielen. Tatsächlich entwickelt sich Birdy zu einem leidenschaftlichen Vogelkundler und träumt davon, selbst wie ein Vogel fliegen zu können. Dazu bastelt er sich nicht nur ein entsprechendes Federkostüm, sondern auch eine Flugapparatur, die er sich auf den Rücken schnallt. Zwar kauft er sich zusammen mit Al auch eine alte Schrottkiste, die sie gemeinsam restaurieren, doch darüber hinaus tut sich Birdy schwer in menschlicher Gesellschaft. Auf dem Abschlussball bewegt er sich beim Tanzen außerhalb des Takts und weiß hinterher im Auto mit den freigelegten Brüsten seiner Begleiterin absolut nichts anzufangen.
Doch all das gute Zureden scheint nicht zu fruchten. Birdy bleibt stumm und verschlossen. Als Dr. Weiss Al schon wieder zurückschicken und Birdy in eine andere Anstalt verlegen lassen will, kommt Al aber noch eine letzte Idee, wie Birdy aus der selbstgewählten Katatonie wieder herausgeholt werden könnte…
Kritik:
In Alan Parkers Adaption von William Whartons Roman „Birdy“ geht es nur vordergründig um posttraumatische Folgen, die Soldaten nach ihrem Einsatz im Vietnamkrieg nach Hause brachten, auch wenn das die Ausgangssituation für das psychologische Drama bildet. Entscheidender als die Handlung in der Jetztzeit, die sich nahezu ausschließlich in der Psychiatrie der US Army abspielt, sind dagegen die Rückblicke auf den Beginn der Freundschaft zwischen dem extrovertierten Al, auf den die Mädels fliegen, und dem introvertierten Birdy, der die Welt der Vögel viel interessanter findet als weibliche Brüste, die er einfach für krankhafte Vergrößerungen der Drüsen hält und die er mit Eutern von Kühen vergleicht.
Schon in den ersten Szenen mit Birdy wird klar, dass der Vietnamkrieg vielleicht dazu geführt hat, dass er sich nun völlig in sich zurückgezogen hat und kein Wort mehr nach außen dringen lässt, aber die Erlebnisse auf dem Schlachtfeld, auf dem er ebenso wie Al und die anderen amerikanischen Jungs nichts zu suchen hatten, waren nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.
Birdy hat sich schon vorher nicht unter Menschen wohlgefühlt, wollte stets frei wie ein Vogel sein und fliegen können. Alan Parker, der bereits mit „Midnight Express“ ein starkes Talent für die Führung von Schauspielern bewies, hat die beiden Protagonisten ideal mit den beiden jungen Darstellern Nicolas Cage („Bringing Out the Dead“, „Leaving Las Vegas“) und Matthew Modine („Full Metal Jacket“, „47 Meters Down“) besetzt. Glaubwürdig geben sie einer ungewöhnlichen Freundschaft Gestalt, wobei Nicolas Cage einerseits als Identifikationsfigur für den temperamentvollen Aufreißer überzeugt, in seinem Bemühen, Birdy vor den schädlichen Einflüssen der Umwelt zu beschützen, aber auch eine sehr fürsorgliche, empathische Seite präsentiert.
Am Ende kann man nicht umhin, Birdys Abkehr von der Welt sehr gut nachvollziehen zu können. „Birdy“ punktet als Plädoyer für Individualität und Toleranz allerdings nicht nur durch die feinfühlig inszenierte Geschichte und die beiden starken Hauptdarsteller, sondern auch durch den ersten Soundtrack des ehemaligen Genesis-Stars Peter Gabriel und die erstklassige Kameraarbeit von Michael Seresin („Angel Heart“, „City Hall“).
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