Zeiten des Aufruhrs

Es ist schon erstaunlich, mit welch sicherem Gespür und Könnerschaft der beim britischen Theater großgewordene Sam Mendes seine Hollywood-Karriere zementiert. Beflügelt von seinem fünffach Oscar-prämierten Debüt „American Beauty“ (1999) ließ der Brite erst das Road-Movie-Rachedrama „Road to Perdition“ (2002), dann den eindringlichen Antikriegsfilm „Jarhead“ (2005) folgen. Weitere drei Jahre später führte er das „Titanic“-Leinwand-Traumpaar Leonardo DiCaprio und Kate Winslet für die kammerspielartige Adaption von Richard Yates‘ Roman „Zeiten des Aufruhrs“ wieder auf der Leinwand zusammen und schuf ein weiteres Meisterwerk. 

Inhalt: 

Frank Wheeler (Leonardo DiCaprio) ist ein einfacher Hafenarbeiter, als er 1948 bei einer Party die Schauspielschülerin April (Kate Winslet) kennenlernt. Als sie heiraten und Frank einen Bürojob bei Knox Business Machines bekommt, zieht das Paar in einen Vorort von Connecticut in ein hübsches Einfamilienhaus in der Revolutionary Road, das ihnen Helen Givings (Kathy Bates) vermittelt hat. Zunächst halten sie sich noch für etwas Besonderes, ebenso weltgewandt wie unkonventionell und ambitioniert, doch mit der Zeit sind sie nicht anders als das benachbarte und mit ihnen befreundete Ehepaar Milly (Kathryn Hahn) und Shep Campbell (David Harbour). Nach einem misslungenen Versuch, in der Theaterbranche Fuß zu fassen, beschränkt sich auch April auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter, während Frank mit seinem ungeliebten Job für den Lebensunterhalt sorgt. An seinem 30. Geburtstag verführt der gelangweilte und frustrierte Frank Maureen Grube (Zoe Kazan), die als einfache Schreibkraft bei Knox arbeitet, während April Helens Bitte annimmt, den Wheelers einmal ihren hochgebildeten Sohn John (Michael Shannon) vorstellen zu können, der einige Zeit in einer psychiatrischen Einrichtung verbracht hat. April überrascht zusammen mit den beiden Kindern ihren Mann mit einer kleinen Geburtstagsfeier. 
Als April ihrem Mann dann von der Möglichkeit erzählt, als Sekretärin für die amerikanische Regierung in Paris zu arbeiten, so dass Frank in Ruhe herausfinden kann, was er wirklich machen will, ist Frank zunächst nicht abgeneigt und erzählt schließlich auch seinem Kollegen Jack Ordway (Dylan Baker) von seinen Plänen, ebenso Helen und den beiden Nachbarn. Doch dann wird Frank überraschend eine Beförderung angeboten und April wird erneut schwanger… 

Kritik: 

Wie schon mit seinem gefeierten Regiedebüt „American Beauty“ taucht Sam Mendes auch mit „Zeiten des Aufruhrs“ tief in die vermeintliche Idylle des amerikanischen Kleinbürgertums. Zwar spielt die Geschichte in den 1950er Jahren, doch macht sich das eher in dem schicken Retrolook und der gelungenen Musikauswahl bemerkbar, denn der Film blendet die politischen wie gesellschaftlichen Begleitumstände nahezu aus und fokussiert sich ganz auf die universelle Thematik der Selbstbestimmung und die mehr oder weniger schwierige Überwindung der Hindernisse auf dem Weg dorthin. 
Wie schnell Frank und April Wheeler ihre Träume von einem aufregenden Leben begraben und sich den Konventionen des Vorstadtlebens anpassen, macht Mendes mit nur wenigen Szenen sichtbar. Während auf der einen Seite April nach dem verpatzten Auftritt ihrer Amateur-Theatertruppe desillusioniert erkennen muss, dass ihr Traum von einer Schauspielkarriere ausgeträumt ist, reiht sich Frank morgens am Bahnsteig in die Masse der Anzugträger ein, um mit dem Zug in die Stadt zu pendeln, wo er auf dem Weg zum Bürokomplex nur ein unbedeutender Mann unter unzähligen anderen ist und so wie sein Vater, der ebenfalls bei Knox gearbeitet hat, zu enden droht, was er immer vermeiden wollte. 
Mendes übt sich allerdings nicht in Kritik an der kleinbürgerlichen Lebensweise, sondern versucht in dem Verhalten der Wheelers gegenüber Freunden, Arbeitskollegen und vor allem untereinander, die Wünsche und die damit verbundenen Ängste herauszukristallisieren, die dazu führen, dass die hehren Träume aus früheren Tagen irgendwann aufgegeben werden, sei es aus Bequemlichkeit oder fehlendem Mut, einen Neuanfang zu wagen. Immer wieder versuchen Frank und April, entweder in kurzen Affären oder in temperamentvollen Gesprächen, sich ihrer Lebendigkeit zu vergewissern, doch scheitern sie daran, den entscheidenden Schritt zu tun. Dabei ist April der Job in Paris schon sicher, steht das Haus zum Verkauf, sind einige Sachen schon verpackt, Nachbarn und Arbeitskollegen sind informiert. Interessanterweise erweist sich der hochintelligente und absolut offenherzige John Givings als derjenige, der die Problematik der Wheelers nicht nur erkennt, sondern sie ihnen auch ungeschönt mitteilt. Derweil versuchen Frank und April einander immer wieder gegenseitig zu beteuern, wie sehr sie sich immer noch lieben, doch Reaktionen wie ein Quickie in der Küche, der in eine ungewollte Schwangerschaft mündet, dokumentieren letztlich nur die Verzweiflung, die mit der als hoffnungslos empfundenen Leere einhergeht. 
Mendes konzentriert sich in „Zeiten des Aufruhrs“ ganz auf seine beiden Hauptdarsteller und enthält sich jeder Wertung oder Deutung ihres Verhaltens. Während die Kinder dabei kaum eine Rolle spielen, dienen die Kontakte zum sozialen Umfeld – zu Freunden und Arbeitskollegen – vor allem als Projektionsfläche, die den Wheelers vor Augen führt, dass sie genau so geworden sind, wie sie nie sein wollten. Dass „Zeiten des Aufruhrs“ dabei so aufwühlt, ist natürlich auch den beiden hervorausragenden Darstellern zu verdanken, die hier viel mehr als in James Camerons Blockbuster „Titanic“ die Möglichkeit bekommen, ihr Können unter Beweis zu stellen. Die wie immer edle Kameraarbeit von Roger Deakins („1917“, „Blade Runner 2049“) und der minimalistische, einfühlsame Score von Thomas Newman („Operation Mincemeat“, „The Help“) sorgen dabei für die richtige Atmosphäre. 

Kommentare

Beliebte Posts