Blue Velvet

Nachdem David Lynch mit seinem Langfilm-Regiedebüt „Eraserhead“ (1977) zum Kultregisseur der Midnight-Movie-Crowd avancierte und mit „The Elephant Man“ (1980) sowohl Kritiker als auch ein Mainstream-Publikum begeistern konnte, hatte er mit dem vor allem auch finanziellen Desaster seiner Adaption von Frank Herberts „Dune – Der Wüstenplanet“ (1984) schwer zu kämpfen. Bevor er aber seine ursprüngliche Idee, wieder zu den experimentellen Filmen seiner Anfangszeit zurückzukehren, verfolgen konnte, kam er ausgerechnet mit „Dune“-Produzent Dino de Laurentiis überein, mit „Blue Velvet“ ein Projekt zu realisieren, bei dem Lynch die volle künstlerische Kontrolle haben würde. Unter diesen Voraussetzungen schuf Lynch einen seiner bis heute besten Filme überhaupt. 

Inhalt: 

Der Schlaganfall seines Vaters führt den jungen Jeffrey Beaumont (Kyle MacLachlan) zurück in seine Heimatstadt Lumberton, wo er auch die Arbeit im Eisenwarenladen seines Vaters übernimmt. Bei einem Spaziergang findet er auf einer Wiese ein abgeschnittenes Ohr, packt es in eine Papiertüte und bringt es aufs Polizeirevier zu Inspector Williams (George Dickerson), den er zum Pathologen begleitet, wo dieser feststellt, dass das Ohr einem möglicherweise noch lebenden Menschen mit einer Schere abgeschnitten worden ist. Jeffrey lässt das Rätsel um das Ohr nicht los und will mehr darüber erfahren. Von Williams‘ Tochter Sandy (Laura Dern) erfährt er, dass bei den Ermittlungen der Name der Nachtclubsängerin Dorothy Vallens (Isabella Rossellini) gefallen sei. 
Zusammen mit Sandy entwickelt Jeffrey einen Plan, wie er Zugang zur Wohnung der Sängerin bekommt. Indem er sich als Kammerjäger ausgibt, gelangt er in den Besitz ihrer Ersatzschlüssel und betritt während ihres Auftritts in dem Club ihre Wohnung, während Sandy in seinem Auto auf der Straße Schmiere steht. Allerdings überhört er ihr Warnsignal, als Dorothy zurückkommt, und muss sich in ihrem Kleiderschrank verstecken. Dort belauscht er nicht nur ein Telefongespräch, sondern er wird auch von Dorothy entdeckt. Mit einem Messer in der Hand zwingt sie Jeffrey, sich vor ihr zu entkleiden, dann verführt sie ihn. Als Frank Booth (Dennis Hopper) überraschend an der Tür steht, versteckt sich Jeffrey erneut im Kleiderschrank und beobachtet durch einen Sehschlitz, wie Frank durch eine Maske ein Gas inhaliert, Dorothy wüst beschimpft und sie missbraucht. 
Als Frank gegangen ist, erfährt Jeffrey, dass Frank ihren Mann und ihren Sohn entführt hat, dass das abgeschnittene Ohr Dorothys Mann gehört und ihr als Warnung dienen soll, keine Dummheiten zu machen. Jeffrey ist von den Ereignissen ebenso verstört wie fasziniert und beginnt, weitere Nachforschungen anzustellen, indem er Frank beschattet und Fotos macht, die Frank und Williams‘ Kollegen (Fred Mickler) in Zusammenhang mit dem Mord an einem Drogendealer bringen. Als er erneut Dorothy besucht und mit ihr schläft, lernt Jeffrey auch ihre masochistischen Bedürfnisse kennen. Schließlich trifft er beim Verlassen von Dorothys Wohnung auf Frank und seine Begleiter (u.a. Jack Nance und Brad Dourif), die Jeffrey und Dorothy zu einer Spritztour nötigen, die zu einem privaten, von Franks Kumpel Ben (Dean Stockwell) geführten Bordell führt, in dem Dorothys Mann und Sohn festgehalten werden. Für Jeffrey endet die Fahrt außerhalb von Lumberton, wo er zusammengeschlagen zurückgelassen wird. Nun ist es für Jeffrey, der mittlerweile mit Sandy liiert ist, an der Zeit, mit den Ergebnissen seiner Nachforschungen zu Inspector Williams zu gehen… 

Kritik: 

David Lynch wurde durch Bobby Vintons 1964 veröffentlichten Schmuse-Pop-Song „Blue Velvet“ dazu inspiriert, einen Film über das Geheimnis hinter der Fassade eine ruhigen Kleinstadt zu machen, allerdings dauerte es etliche Jahre, bis der Maler und Filmemacher genügend Ideen für ein ganzes Drehbuch zusammenhatte.  
„Blue Velvet“ beginnt mit einem leicht flatternden blauen Samtvorhang, um dann in eine idyllische Kleinstadtszenerie überzublenden. Auf einem langsam durch das Bild fahrenden Feuerwehrwagen winkt ein Mann vom Trittbrett in Zeitlupe in die Kamera, eine ältere Dame fungiert als Schülerlotsin vor einem Zebrastreifen, rote Rosen und gelbe Tulpen leuchten vor einem weißen Holzzaun unter einem strahlend blauen Himmel. 
Doch die Idylle wird durch den Sturz des Mannes mit dem Gartenschlauch getrübt und durch das von Jeffrey gefundene menschliche Ohr endgültig zerstört. Der sexuell noch unerfahrene Jeffrey kehrt nach Hause zurück, um mit den dunklen Seiten der menschlichen Seele Bekanntschaft zu machen. Dabei wird er ausgerechnet durch die ebenso unschuldig wirkende Sandy in die düsteren Abgründe hineingeführt, als sie den Namen der Nachtclubsängerin ins Spiel bringt. Lynch macht in seinem ersten eigenen Drehbuch seit „Eraserhead“ den Zuschauer mit zum Voyeur, wenn er mit Jeffreys Augen durch den Sehschlitz der Schranktür beobachtet, wie Dorothy ihre Kleider ablegt und ins Badezimmer geht, wobei die Kamera immer Jeffreys Perspektive einnimmt. 
Mit dieser Szene kommen einem unweigerlich Alfred Hitchcocks Meisterwerke „Das Fenster zum Hof“ und „Psycho“ in den Sinn, doch spielt Lynch ganz bewusst mit den Zuschauererwartungen, wenn er den Spieß umdreht und Dorothy vom Objekt zum Subjekt macht und ihn überraschenderweise ihren Bedürfnissen unterwirft. Lynch findet in „Blue Velvet“ immer wieder drastische Bilder, um die Gewalt und das Böse in unserer Welt darzustellen, am eindringlichsten sicher in der Vergewaltigungsszene, in der Frank Booth wie ein wildes, entfesseltes Tier wirkt, das einfach „alles fickt, was sich bewegt“, aber letztlich nur seine eigene Impotenz überdeckt. 
Frank Booth, dessen Name auf den Mörder von Abraham Lincoln zurückzuführen ist, steht für das personifizierte Böse, für den Bruch mit dem amerikanischen Traum und den Vorstellungen vom kleinbürgerlichen Glück. Das muss Jeffrey während der verbotenen Befriedigung seiner jugendlichen Neugier schmerzlich am eigenen Leib erfahren. Lynch spielt geschickt mit der Symbolkraft von Farben, unter denen gerade Blau, Rot und Weiß – die Farben der amerikanischen Flagge – eine besondere Bedeutung zukommt, und mit den unterschiedlichsten Figurenkonstellationen, hinter denen man allzu leicht ödipale Strukturen entdeckt, die sich vor allem in der Beziehung zwischen Frank, Dorothy und Jeffrey manifestiert.  
Lynch kreiert mit „Blue Velvet“ eine Reihe von verstörenden Traumlandschaften, die uns mit der Tatsache konfrontieren, dass wir alle in einer merkwürdigen Welt leben, wie auch Jeffrey und Sandy immer wieder konstatieren. Das Böse und Irreale ist genauso Bestandteil unserer Welt wie das Gute und Handfeste. Angelo Badalamenti, der ursprünglich engagiert worden ist, um mit Isabella Rossellini das von ihr im Club gesungene „Blue Velvet“ einzuüben (und auch sie selbst im Film am Klavier zu begleiten), schrieb letztlich nicht nur „The Mysteries of Love“ für Julee Cruise, das den romantischen Tanz untermalt, bei dem sich Sandy und Jeffrey gegenseitig ihre Liebe zueinander gestehen, sondern ist auch für den manchmal eindringlichen, dann wieder aufwühlenden Score verantwortlich. 
Neben der großartigen Inszenierung durch David Lynch ist aber auch die hervorragende Leistung der Darsteller zu erwähnen. Kyle MacLachlan verkörpert als Jeffrey Beaumont überzeugend eine Art Alter Ego von David Lynch, wenn er sich von den dunklen Geheimnissen in seiner Heimatstadt angezogen fühlt, während Dennis Hopper als furchrerregender Bösewicht herrlich freidreht, aber auch eine Verletzlichkeit zum Ausdruck bringt, wenn er den Text zu Roy Orbinsons „In Dreams“, das sein Kumpel Ben vorträgt, leise mitsingt. Und während Laura Dern das unschuldige gute Mädchen spielt, darf das Fotomodell Isabella Rossellini auch die verletzliche Seite der Schönheit präsentieren. Zwar scheint sich am Ende alles zum Guten zu wenden, doch wenn das Rotkehlchen am Ende auf dem Fenstersims der Beaumonts erscheint, macht der zappelnde Käfer im Schnabel schon wieder deutlich, dass der Tod im nächsten Moment die Idylle zerstören wird. Mit „Blue Velvet“ hat David Lynch nicht nur sein persönliches Meisterwerk geschaffen, sondern auch seinen eigenwilligen Stil perfektioniert, der auch seine nachfolgenden Filme prägen sollte. Mit „Blue Velvet“ hat David Lynch nicht nur sein persönliches Meisterwerk geschaffen, sondern auch seinen eigenwilligen Stil perfektioniert, der auch seine nachfolgenden Filme prägen sollte.  

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