Der denkwürdige Fall des Mr. Poe
Seit seinem Regiedebüt „Crazy Heart“ mit der Oscar-prämierten Darstellung von Jeff Bridges als alternder Country-Musiker hat der US-amerikanische Schauspieler Scott Cooper mit Christian Bale offensichtlich seinen Lieblingsschauspieler gefunden. Nach dem Rachedrama „Auge um Auge – Out of the Furnace“ (2013) und dem Western „Feinde – Hostiles“ (2017) ist der Oscar-Preisträger Bale („The Fighter“, „American Hustle“) auch in Coopers Adaption von Louis Bayards 2006 veröffentlichten Kriminalroman „Der denkwürdige Fall des Mr. Poe“ zu sehen.
Als im Oktober des Jahres 1830 eines Nachts an der Militärakademie West Point die an einem Baum aufgeknüpfte Leiche des Kadetten Fry (Steven Maier) aufgefunden wird, sorgt sich die Akademieführung um den Ruf der Institution, die einige Senatoren bereits zu gern geschlossen sehen möchten. Superintendent Thayer (Timothy Spall) lässt nach dem erfahrenen Ermittler Augustus Landor (Christian Bale) schicken, der sich in aller Diskretion um die Aufklärung des Mordfalls kümmern soll, denn es wird schnell klar, dass sich Fry nicht selbst das Leben nahm. Wie Dr. Daniel Marquis (Toby Jones) bei der Autopsie festgestellt hat, wurde dem Toten nämlich auch das Herz entfernt. Dazu weisen die Abschürfungen am Hals und Spuren an den Fingernägeln darauf hin, dass sich der Tote heftig gewehrt hat. In Frys Hand entdeckt Landor zudem das Fragment einer handgeschriebenen Mitteilung. Bei der Befragung von Ausbildern und Kadetten fällt Landor besonders der Kadett Edgar Allan Poe (Harry Melling) auf, der sich nicht nur außergewöhnlich stark für Landors Ermittlungsarbeit interessiert, sondern auch über eine ausgeprägte morbide Ader verfügt. Landor engagiert Poe als Gehilfen, der sozusagen von innen heraus Informationen zu möglichen Verdächtigen und Motiven sammeln soll. Dabei verliebt sich Poe in Marquis‘ kränkliche Tochter Lea (Lucy Boynton)…
Kritik:
Während der deutsche Titel von Louis Bayards Roman und Scott Coopers Verfilmung die Vermutung nahelegt, dass es sich bei „Der Der denkwürdige Fall des Mr. Poe“ um ein Biopic über den berühmten Erfinder von Detektivgeschichten („Der Doppelmord in der Rue Morgue“) handeln könnte, bietet der Originaltitel „The Pale Blue Eye“ weitaus mehr Interpretationsspielraum. Tatsächlich steht in dem Film, zu dem Cooper wieder selbst das Drehbuch schrieb, der von der Militärakademie West Point engagierte Ermittler Augustus Landor im Mittelpunkt, der den deduktiv arbeitenden Detektiv verkörpert, der seine Fälle durch Logik und Kombinationsgabe löst, wie ihn Poe, Arthur Conan Doyle und Agatha Christie berühmt machten und durch Kenneth Branaghs Christie-Adaptionen „Der Mord im Orient-Express“ und „Tod auf dem Nil“ und Rian Johnsons „Knives Out Mysteries“ aktuell wieder sehr populär geworden sind.
Und so ist auch Coopers „Der Der denkwürdige Fall des Mr. Poe“ als klassischer Whodunit-Krimi angelegt, in dem Landor und Poe ein fiktionales, gut miteinander harmonierendes Ermittler-Duo abgeben, das sich bei seinen Überlegungen zur Entschlüsselung verschiedener Informationen und Beobachtungen locker die Bälle zuspielt.
Cooper legt dabei sehr viel Wert auf die stimmige Atmosphäre. Die winterliche Landschaft mit der Verbindung von Schnee und Nebel steht dabei im starken Kontrast zu den von Kerzen und kleinen Lampen erhellten Kammern und Wirtshäusern, die angesichts des schrecklichen Mordes eine trügerische Wärme ausstrahlen. Der Film nimmt sich viel Zeit, die Charaktere des Witwers Landor und des romantischen Querdenkers Poe zu beschreiben. Vor allem in den offen geführten Gesprächen zwischen den beiden treten die seelischen Wunden der beiden Protagonisten zutage.
In der Beziehung zwischen Poe und Lea greift Cooper zudem Poes Faszination für zarte, kränkliche Frauengestalten auf, die er in Gedichten und Geschichten wie „Morella“, „Ligeia“ und „Annabel Lee“ zum Ausdruck brachte und die auch sein eigenes unglückliches Liebesleben prägten.
Während die Ermittlungen den größten Teil des zuweilen etwas langatmigen Kriminaldramas ausmachen, findet Cooper aber auch Zeit, einen Blick auf die damalige Gesellschaft zu werfen. Vor allem beim Abendessen, zu dem Marquis sowohl den Detektiv als auch Poe eingeladen haben, werden die Risse deutlich, die unter der schönen Fassade liegen, wenn die Dame des Hauses, Julia Marquis (Gillian Anderson), vor Empörung einen Teller zerbricht und aufgebracht den Speisesaal verlässt.
Bei der Auflösung des kniffligen Rätsels um den Mord an Fry schöpft Cooper im Finale aus dem Vollen. Zwar ist ihm mit „Der denkwürdige Fall des Mr. Poe“ nicht ein so denkwürdiger Film gelungen, wie es der Titel annehmen lässt, doch ist es allemal ein atmosphärisch dichtes Whodunit-Drama mit zwei überzeugend agierenden Hauptdarstellern geworden.
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