Alice im Wunderland
Einst studierte Tim Burton einem Stipendium der Disney-Studios drei Jahre Trickfilmkunst am California Institute of the Arts und wirkte dann als Zeichner bei „Cap und Capper“ und „Taran und der Zauberkessel“ mit, bevor er in Disneys Auftrag 1982 seinen ersten erfolgreichen und preisgekrönten Kurzfilm „Vincent“ inszenierte. Nach einer erfolgreichen Hollywood-Karriere mit Großproduktionen wie „Batman“, „Batmans Rückkehr“, „Edward mit den Scherenhänden“ und „Charlie und die Schokoladenfabrik“ kehrte Burton erst 2010 wieder zu Disney zurück, um die Kinderbuchklassiker von Lewis Carroll in neuem Gewand zu präsentieren.
Als die 19-jährige Alice Kingsleigh (Mia Wasikowska) mit ihrer Mutter Helen (Lindsay Duncan) zu einer viktorianischen Gartenparty von Lord (Tim Pigott-Smith) und Lady Ascot (Geraldine James) eingeladen wird, ahnt sie nicht, dass sie mit dem versnobbten Sohn der Ascots, dem Geschäftsmann Hamish (Leo Bill), vermählt werden soll, der vor allen Anwesenden um ihre Hand anhält.
Doch als sie am Rand der Feierlichkeiten ein weißes Kaninchen (Stimme: Michael Sheen) mit Taschenuhr und blauer Weste entdeckt, lässt sie Hamish und die versammelte Festgesellschaft stehen und folgt dem Kaninchen durch den Schlossgarten bis zum Kaninchenbau, in den sie in eine endlose Tiefe fällt. Zwar hat Alice ihre Abenteuer im Wunderland vor dreizehn Jahren längst vergessen, wird aber noch von merkwürdigen Träumen heimgesucht. Am Ende ihres Falls wacht Alice in einem runden Raum mit verschiedenen Türen auf.
Der Schlüssel auf dem Tisch öffnet allerdings nur die kleinste Tür, durch die sie nicht passt. Erst als sie zum zweiten Mal einen Trunk zu sich nimmt, der sie schrumpfen lässt – nachdem sie zwischenzeitlich von einem Kuchen abgebissen hat, der sie wachsen lässt -, gelingt es ihr, durch die Tür ins Unterland zu gelangen. Das weiße Kaninchen, die Haselmaus und die Zwillinge Diedeldum und Diedeldei, die Alices Bemühungen beobachtet haben, beginnen schon zu zweifeln, dass es sich um die „echte Alice“ handelt, schließlich hat sie das Prozedere vor dreizehn Jahren schon einmal durchlaufen. Um Gewissheit zu erlangen, führen sie das Mädchen zur weisen Raupe Absolem (Stimme: Alan Rickman), die nur sagen kann, dass Alice nicht in allen Teilen die Richtige ist.
Der Prophezeiung nach wird die echte Alice am Blumertag den Jabberwocky (Stimme: Christopher Lee) mit dem Schwert der Weißen Königin (Anne Hathaway) besiegen, die immer noch gegen ihre despotische Schwester, die Königin in Rot (Helena Bonham Carter), um die Herrschaft in Unterland kämpft. Gemeinsam mit einem verrückten Hutmacher (Johnny Depp) und einer mysteriösen Grinsekatze (Stimme: Stephen Fry) begibt sich Alice auf eine abenteuerliche Reise...
Kritik:
Vor allen in seinen Stop-Motion-Trickfilmen „Nightmare Before Christmas“ und „Corpse Bride – Hochzeit mit einer Leiche“, aber auch in seinen Realfilmen „Beetlejuice“, „Edward mit den Scherenhänden“, „Sleepy Hollow“ und „Big Fish“ hat Tim Burton immer wieder neue fantasievolle Kulissen, Figuren und Geschichten zum Leben erweckt. Insofern erschien Burton auch für seinen alten Ausbildungsbetrieb Disney der richtige Mann, um Lewis Carrolls Bücher „Alice im Wunderland“ und „Alice hinter den Spiegeln“ neu zu verfilmen, nachdem Disney 1951 eine Zeichentrickversion in die Kinos gebracht hatte.
Burton und seine Drehbuchautorin Linda Woolverton („Der König der Löwen“, „Die Schöne und das Biest“) haben mit „Alice im Wunderland“ allerdings eher ein Sequel erschaffen, das zwar auf den Motiven und Figuren der Romane basiert, aber Alice und ihre Abenteuer im Unterland – das sie als Kind irrtümlicherweise für das Wunderland hielt – als Erwachsene fortsetzt. Dabei profitiert der Film natürlich einmal mehr von den für Burton-Filme bekannten fantasievoll ausschweifenden Kulissen, die ebenso mit einem Oscar prämiert wurden wie die fantastischen Kostüme von Burtons langjähriger Kostümdesignerin Colleen Atwood („Sweeney Todd“, „Die Geisha“).
Im Kampf des Guten gegen das Böse, in der Konfrontation zwischen der weißen und der roten Königin, zwischen Alice in Ritterrüstung und dem Drachen Jabberwocky bleiben die Protagonisten allerdings recht blass, vor allem Helena Bonham Carter wirkt als rote Königin mit dem überdimensionierten Kopf wie eine Karikatur, vor der man sich nicht wirklich fürchten kann. Dafür präsentiert sich Johnny Depp als verrückter Hutmacher in der Rolle seines Lebens.
Bei allen visuellen Reizen und dem zauberhaft mitreißenden Score von Danny Elfman kann die Geschichte allerdings nicht immer fesseln und verliert sich gerade zum Finale hin in vorhersehbaren Mustern, die der Familientauglichkeit eines Disney-Films geschuldet ist. Hätte Tim Burton mehr künstlerische Kontrolle über seinen Film gehabt, wäre das Abenteuer fraglos weitaus düsterer ausgefallen. Auch das mag ein Grund dafür sein, dass er für die Fortsetzung „Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln“ nicht mehr zur Verfügung stand.
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