Die Stunde, wenn Dracula kommt
Der italienische Filmemacher Mario Bava (1914-1980) hatte Ende der 1930er Jahre als Kameramann für zwei Kurzfilme angefangen, sich ab 1950 auch um Special Effects gekümmert und 1957 zu „Der Vampir von Notre-Dame“ nicht nur sein erstes Drehbuch (unter Pseudonym) vorgelegt, sondern auch die Riccardo Fredas Regie-Job zu Ende geführt. Nachdem er weitere Male als Feuerwehrmann – u.a. für Pietro Franciscis „Herkules und die Königin der Amazonen“ und Riccardo Fredas „Caltiki – Rätsel des Grauens“ (beide 1959) – eingesprungen war, bedankte sich die Produktionsfirma Galatea mit seinem ersten eigenen Regieauftrag. Bava entschied sich für eine sehr freie Adaption von Nikolai Gogols bereits 1835 erschienener Erzählung „Vij“, die er zu einem um Hexen und Vampire drehendes Grusel-Drama umformte.
Inhalt:
Irgendwo in Moldawien im 17. Jahrhundert werden Asa Vajda (Barbara Steele) und ihr Geliebter Javutich (Arturo Dominici) von der Inquisition der Hexerei angeklagt und zum Tode durch Verbrennen verurteilt – vor her bekommen sie allerdings die Eisendorn-bewehrte Maske Satans aufgesetzt. Asa verflucht den Großinquisitor, der gleichzeitig ihr Bruder ist, und alle seine Nachfahren, dann wird ihr wie ihrem Geliebten zuvor vom Henker die Maske mit einem Hammer ins Gesicht geschlagen. Zur läuternden Reinigung durch das Feuer kommt es allerdings nicht mehr: ein plötzliches Gewitter treibt die Dorfbewohner auseinander. Während Javutich in ungeweihter Erde beerdigt wird, setzt man Asas Leichnam in einer Krypta bei. 200 Jahre später sind Dr. Kruvajan (Andrea Checchi) und sein junger Kollege Dr. Andrej Gorobec (John Richardson) mit einer Kutsche zu einem Kongress unterwegs. Um Zeit zu sparen, schickt Kruvajan den Kutscher zu einer Abkürzung durch den Wald, doch kommt es dort bald zu einer Panne mit dem Rad.
Während der Kutscher sein Arbeitsgerät wieder flott zu bekommen versucht, machen sich die beiden Ärzte auf die Suche nach dem Ursprung der unheimlichen Geräusche im Wald und werden in einer zerfallenen Krypta fündig, wo sie eine beschädigte Orgel als Ursache der pfeifenden Töne ausmachen. Sie entdecken aber auch Asas Sarg, der durch ein großes Kreuz gesichert ist. Als sich Dr. Kruvajan gegen eine riesige Fledermaus verteidigen muss, schlägt er versehentlich das Kreuz und die Glasscheibe im Sarg kaputt, verletzt sich an einer Scherbe, als er der Toten die Maske abnimmt und erweckt durch sein Blut die Prinzessin zu neuem Leben. Während die beiden Reisenden vor der Krypta mit Katia Vajda (Barbara Steele) eine Nachfahrin von Asa treffen, lässt Asa ihren Geliebten aus seinem Grab auferstehen und zu Katias Schloss gehen, wo er ihren Vater (Ivo Garrani) an den Rand des Wahnsinns treibt. Katias Bruder Konstantin (Enrico Olivieri) lässt Dr. Kruvajan kommen, der allerdings in Javutichs Bann gerät, bevor er das Schloss erreicht, wo er von Asa gebissen wird. Javuvitch bringt Katia in seine Gewalt, damit durch ihr Blut Asa wieder ihre volle Lebenskraft zurückgewinnen kann. Doch mittlerweile hat Gorobec einen Priester und eine Gruppe von Männern aus dem Dorf mobilisieren können, dem unheimlichen Treiben auf dem Schloss ein Ende zu setzen …
Kritik:
Der routinierte Drehbuchautor Ennio De Concini („Ich liebe einen Mörder“, „Schicksal einer Nonne“) und sein Co-Autor, der Cutter Mario Serandrei („Schlacht um Algier“, „Diebe sind auch Menschen“), haben aus dem russischen Volksmärchen, das Gogol in seiner Geschichte „Vij“ verarbeitete, einen nicht zwingend originellen Plot entwickelt, aber ihrem erstmals allein verantwortlichen Regisseur Mario Bava alle Möglichkeiten eröffnet, in seinem Debüt alle Register seines bereits erworbenen Könnens zu ziehen. Der unsinnige deutsche Verleihtitel „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ ist natürlich dem Bestreben geschuldet, auf der Erfolgswelle von Hammer-Produktionen wie „Dracula“ und „Frankensteins Fluch“ mitzuschwimmen, dabei ist von Dracula im Original „La maschera del demonio“ nie die Rede und hätte besser wortgetreu als „Die Maske des Dämons“ in die deutschen Lichtspielhäuser gelangen sollen.
Das Vampirthema ist ohnehin nicht besonders stark ausgeprägt. Schon die stimmungsvolle Eingangssequenz zeigt, dass das Hexenthema weit mehr im Vordergrund steht. Mit dem effektvoll inszenierten Aufsetzen der Maske Satans setzt Bava auch gleich ein Ausrufezeichen und hebt sich damit bereits von den zu jener Zeit noch sehr brav gehaltenen Hammer-Produktionen und Roger Cormans Edgar-Allan-Poe-Adaptionen ab. Während die Story nicht sehr originell und auch nicht immer sinnvoll vor sich hin plätschert, nutzt Bava alle Möglichkeiten, in seinem Schwarzweiß-Film so unterschiedliche Einflüsse wie den expressionistischen Stummfilm der 1920er Jahre, die atmosphärisch dichten Universal-Horror-Produktionen der 1930er Jahre, den Film noir der 1940er Jahre und auch die neuen Elemente, die Hammer Ende der 1950er dem Horror-Genre hinzufügte, unter einen Hut zu bringen. Wabernde Nebel, unheimliche Geräusche, stimmungsvolle Effekte und nicht zuletzt die alles überstrahlende Performance von Barbara Steele, die – sehr zu ihrem Leid - mit diesem Film zur Ikone des Horrorfilms der 1960er avancierte und in Produktionen wie „Das schreckliche Geheimnis des Dr. Hichcock“ (1962) und „Die Hexe des Grafen Dracula“ (1968), aber auch in Fellinis „Achteinhalb“ (1963) zu sehen war. Aber selten durfte sie ihre ausdrucksvollen Augen so wunderbar zur Geltung bringen wie in Bavas „Die Stunde, wenn Dracula kommt“.
Schade, dass die beiden nie wieder zusammengearbeitet haben. Für Bava ging die Erfolgsgeschichte nach ein paar Sandalen-Abenteuern wie „Aladins Abenteuer“, „Vampire gegen Herakles“ und „Die Rache der Wikinger“ mit dem Episoden-Horror „Die drei Gesichter der Furcht“ und „Der Dämon und die Jungfrau“ (beide 1963) weiter.
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