Reiter ohne Gnade

Das Leben des legendären Banditen Jesse James (1847-1882) wurde in vielen Western thematisiert, vom Stummfilm „Jesse James Under the Blag Flag“ (1921) über „Jesse James, Mann ohne Gesetz“ (1939) und Fritz Langs „Rache für Jesse James“ (1940) bis zu Walter Hills Spät-Western „Long Riders“ (1980) und „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ (2007) mit Brad Pitt in der Hauptrolle. Kaum berücksichtigt in dieser Aufzählung wird Ray Enrights B-Western „Reiter ohne Gnade“ (1950), zumal in der deutschen Synchronisation auch die beiden Brüder Jesse und Frank andere Nachnamen erhielten. 

Inhalt: 

Nachdem marodierende Nordstaatentruppen ihre Eltern abgeschlachtet haben, sind die beiden Brüder Frank (Richard Long) und Jesse James (Audie Murphy) nicht nur ohne Familie, sondern auch ohne Heimat, weshalb sie mit ihren Freunden Cole (James Best), James Younger (Dewey Martin) und Kit Dalton (Tony Curtis) auf dem Weg in den Süden sind, wo sie sich der Guerilla-Truppe von Colonel William Clark Quantrill (Brian Donlevy) anschließen wollen, um sich an den Yankees zu rächen. Kurz vor ihrem Ziel treffen sie auf die hübsche Kate Clark (Marquerita Chapman), die ihnen davon abrät, sich Quantrills Truppe anzuschließen. 
Was Kate mit ihrer Warnung auszudrücken versuchte, merken die fünf jungen Männer erst, als sie von Quantrills Männern gefangengenommen werden und bei der Beurteilung, wie mit den Gefangenen umgegangen werden soll, mitbekommen, wie leichtfertig Quantrill das „Kriegsrecht“ handhabt und Kriegsgefangene gnadenlos als Spione umbringen lässt. Jesse gelingt es jedoch, sich bei einem Messerkampf gegen Quantrills rechte Hand Bill Anderson (Scott Brady) den nötigen Respekt zu verschaffen, und wird in Quantrills Pläne eingeweiht. Mit Anderson haben die Yankees allerdings ihren Spitzel in Quantrills Reihen verloren, so dass der Anführer der Unionstruppen (Richard Arlen) über das weitere Vorgehen der Guerilla-Truppe nicht mehr informiert ist. Bereits bei den ersten Einsätzen muss der idealistische Jesse feststellen, dass es Quantrill nicht in erster Linie darum geht, Patrouillen, Kuriere und Siedlungen der Union anzugreifen, sondern dass seine Männer nicht davor zurückschrecken, auch Zivilisten zu töten und auszurauben. Quantrill zeigt sich dem entsetzten Jesse gegenüber zunächst verständnisvoll, doch als auch beim nächsten Angriff gemetzelt und geraubt wird, beginnt Jesses unvoreingenommene Bewunderung für den Guerilla-Führer zu schwinden, doch Quantrills Gefährtin Kate möchte er weiterhin um sich haben … 

Kritik: 

Auch wenn es Ray Enright (1896-1965) nie in die erste Riege der Hollywood-Regisseure geschafft hat, kann er vor allem seit den 1940er Jahren auf eine ganze Reihe von Western wie „Die Rächer von Missouri“, „Stahlharte Fäuste“, „Die Todesreiter von Kansas“ und „Der Rächer der Todesschlucht“ in seiner Werksbiografie verweisen – darunter auch welche mit Stars wie Randolph Scott und Robert Ryan. „Reiter ohne Gnade“ zählt zu seinen letzten Regiearbeiten überhaupt und ist nach einem Drehbuch von Robert L. Richards („Winchester 73“, „Zwischen zwei Feuern“) entstanden, der sich mit einem frühen Kapitel in der Geschichte von Jesse James befasst hat. 
Der damals 25-jährige Audie Murphy, der als höchstdekorierter US-Soldat des Zweiten Weltkrieges in die Geschichte eingegangen ist und gerade am Anfang seiner Karriere stand, verkörpert den gerade mal 17-jährigen Jesse James mit der überzeugenden Mischung aus verständlichem Rachedurst und zunächst naiver Idealisierung von Quantrills Organisation.  
Enright gibt die ambivalente Situation während des Amerikanischen Bürgerkriegs sehr pointiert wieder, geht allerdings auch nicht allzu sehr ins Detail oder einzelne Schicksale ein. Auch die Konstellation zwischen Quantrill, der vielschichtig von Brian Donlevy („Drei Fremdenlegionäre“, „Feinde aus dem Nichts“) verkörpert wird, Jesse James und Kate wird nicht eindeutig herausgearbeitet. 
Dafür bietet „Reiter ohne Gnade“ eine actionreiche Geschichte um eine gewaltsam beraubte Heimat, die Jesse und seine Truppe allein in der gar nicht so redlichen Guerilla-Armee des Südens zu finden hoffen. Die kritischen Begleiterscheinungen wollen gerade Jesses Begleiter nicht wahrhaben. Wenn es Enright geschafft hätte, diese Ambivalenz noch tiefergehender zu thematisieren, wäre aus dem unterhaltsamen, souverän inszenierten B-Western sogar ein A-Western geworden.  

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