Vor verschlossenen Türen

Schon lange bevor Nicholas Ray mit „…denn sie wissen nicht, was sie tun“ (1955) James Dean als halbstarken Rebell etablierte, nahm er sich in seinen ersten Gehversuchen als Regisseur einzelnen Menschen an, die am Rande der Gesellschaft stehen und von dort aus allzu schnell vom rechten Weg abkommen. Nach seinem starken Debüt „Sie leben bei Nacht“ (1948) drehte er für Humphrey Bogarts Produktionsfirma Santana Pictures Corporation den sozialkritischen Film noir „Vor verschlossenen Türen“ (1949) – mit Bogart in der Hauptrolle als engagierter Strafverteidiger, der seinen jungen Mandanten vor der Hinrichtung bewahren will. 

Inhalt: 

Als in einem heruntergekommenen, aber belebten Viertel von New York nachts ein Officer erst angeschossen und dann brutal hingerichtet wird, flüchtet der Täter unerkannt, nachdem er seinen Revolver in einer Regentonne entsorgt hat. Die Polizei setzt alle Hebel in Bewegung, den Mörder ausfindig zu machen, und nimmt kurzerhand alle Männer in der Gegend mit Vorstrafen fest und unterzieht sie auf dem Revier einem gnadenlosen Verhör. Unter den Verdächtigen befindet sich auch der junge Nick Romano (John Derek), der gleich nach seinem Anwalt verlangt. Andrew Morton (Humphrey Bogart) und seine Frau Adele (Susan Perry) spielen gerade Schach, als das Telefon klingelt, der Anwalt an den Apparat geht und die Frage verneint, ob er Nicks Verteidigung übernehmen wolle. Erst als ihn seine Frau missbilligend anschaut, erklärt er sich bereit, sich in der Arrestzelle wenigstens Nicks Geschichte anzuhören. Dort nimmt er dem Angeklagten zunächst das Versprechen ab, dass er ihm die Wahrheit erzählt, dann erzählt er vor Gericht, dass er sich für den Angeklagten verantwortlich fühle. Schließlich habe er versäumt, Nicks Vater vor dem Gefängnis zu bewahren, wo dieser an einem Herzinfarkt verstarb. 
Ausführlich schildert er den Geschworenen, wie er Nick damals kennengelernte, wie Nick als Sohn italienischer Einwanderer keine echte Chance bekommen habe, sondern zunächst von kleinen Diebstählen mit seinen Kumpels lebte und dann immer organisierter zu Werke ging, die Tortur in einer Besserungsanstalt überstand, bis ihn die Liebe zur braven und gütigen Emma (Allene Roberts) auf den Pfad der Tugend brachte. Nach ihrem Selbstmord verlor Nick allerdings jeglichen Halt im Leben. Während Nick stets seine Unschuld beteuert, fährt der Staatsanwalt Kerman (George Macready) alle Geschütze auf, Nick hinrichten zu lassen … 

Kritik: 

Nach Willard Motleys Roman „Knock On Any Door“ haben Daniel Taradash („Verdammt in alle Ewigkeit“, „Meine Braut ist übersinnlich“) und John Monks Jr. („Das Haus in der 92. Straße“, „Hölle auf Guam“) ein Drehbuch geschrieben, das ganz auf die Schwierigkeiten von jugendlichen Außenseitern fokussiert ist, die in prekären Verhältnissen aufgewachsen sind, in der erzkonservativen Leistungsgesellschaft nie gelernt haben, richtig zu arbeiten, und sich ihren Lebensunterhalt durch Glücksspiel und Diebstähle gesichert haben. 
Nicholas Ray nimmt sich viel Zeit, den von Humphrey Bogart sympathisch gespielten Anwalt in Rückblenden Nicks Lebensgeschichte zu erzählen, stets mit Hinweisen auf die widrigen Umstände. Schließlich verlor er als Teenager seinen Vater, so dass ihm der rechte Halt fehlte, um es im Leben zu etwas Gescheitem zu bringen. Allerdings trägt Ray mit seiner Inszenierung sehr dick auf. Zum einen versucht er den Eindruck zu erwecken, dass Nick keine andere Möglichkeit blieb, als auf die schiefe Bahn zu geraten, auf der anderen Seite wirkt die Liebesgeschichte zwischen Nick und der biederen Emma allzu bilderbuchhaft – mit überzogen tragischem Ende. 
Sehenswert sind vor allem die Szenen in der Gegenwart vor Gericht. Die Kreuzverhöre, die sich Bogarts fürsorglicher Verteidiger und der grandios von George Macready („Gilda“, „Wege zum Ruhm“) bieten, sind packend von Kameramann Burnett Guffey („Bonnie und Clyde“, „Verdammt in alle Ewigkeit“) eingefangen. Ihm ist auch ein spektakulärer Auftakt mit der Mordszene gelungen, ebenso wie das melancholische Ende, jeweils mit eindrucksvollen Schwarzweiß-Kontrasten. Der wunderbar gespielte Film überzeugt eher als Justiz-Drama, während die sozialkritische Note allzu belehrend rüberkommt und wenig Spielraum für eigene Interpretationen lässt. 
1960 entstand mit „Die Saat bricht auf“ eine Fortsetzung mit der Figur von Nick Romano, ebenfalls nach einem Roman von William Motley, aber unter der Regie von Philip Leacock.  

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