Die Nacht des Jägers
Das Jahr 1955 war ein gutes Jahr für den Film noir, erblickten doch Meisterwerke wie Clouzots „Die Teuflischen“, Joseph H. Lewis‘ „Geheimring 99“, Jules Dassins „Rififi“ und Robert Aldrichs „Rattennest“ das Licht der Kinoleinwand. Eine Sonderstellung nimmt die einzige Regiearbeit des britischen Schauspielers Charles Laughton („Meuterei auf der Bounty“, „Unter Verdacht“, „Spiel mit dem Tode“) ein. „Die Nacht des Jägers“, seine Verfilmung von Davis Grubbs Roman „The Night of the Hunter“, wird zwar gemeinhin dem Film noir zugerechnet, erweist sich aber vor allem als mit expressionistischen Mitteln spielende Fabel über die Sünde.
Der am Ohio River lebende Familienvater Ben Harper (Peter Graves) sieht während der Großen Depression Anfang der 1930er in den USA keine andere Möglichkeit, sich und seine Frau und Kinder durchzubringen, als eine Bank auszurauben. Dabei erbeutet er allerdings nicht nur 10.000 Dollar, sondern tötet auch zwei Menschen. Bevor er von der Polizei festgenommen wird, kann Harper die Beute noch seinem Sohn John (Billy Chapin) übergeben und ihm und seiner kleinen Schwester Pearl (Sally Jane Bruce) das Versprechen abnehmen, niemandem von dem Geld zu erzählen.
Während er im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartet, teilt er sich eine Zelle mit dem falschen Wanderprediger Harry Powell (Robert Mitchum), der durch die Lande zieht, um ahnungslose Witwen um ihre Ersparnisse zu bringen und zu töten, nun aber wegen eines harmlosen Autodiebstahls eine einmonatige Haftstrafe absitzen muss. Der spitzt natürlich die Ohren, als Harper im Schlaf von dem Geld faselt. Nach Harpers Hinrichtung und seiner eigenen Freilassung macht sich Powell auf den Weg zu Harpers Witwe Willa (Shelley Winters), der vor allem von ihrer geschwätzigen Nachbarin Icey Spoon (Evelyn Varden) nahegelegt wird, den attraktiven Prediger zu heiraten. Er hat sich Willa gegenüber als Gefängnisprediger vorgestellt, der ihrem Mann bis zur letzten Stunde beistand, seine Arbeit aber wegen der seelischen Belastung aufgeben musste.
Durch die Hochzeit bekommt Powell, der überhaupt nicht das geringste Interesse an seiner Frau zeigt, freie Bahn, die Kinder unter Druck zu setzen, doch vor allem John ist gewissenhaft darauf bedacht, das ihm anvertraute Geheimnis nicht zu offenbaren. Als Willa das wahre Wesen ihres neuen Gemahls entdeckt, wird sie kurzerhand getötet und samt Wagen im Fluss versenkt. John nimmt daraufhin mit seiner Schwester in einem Boot Reißaus und findet im privat geführten Waisenhaus der gutmütigen Mrs. Cooper (Lillian Gish) ein neues Zuhause. Doch Powell ist den Kindern dicht auf der Spur…
Kritik:
Davis Grubb ließ sich für seinen 1953 erschienen Debütroman „The Night of the Hunter“ nicht nur von seiner Mutter inspirieren, die in den 1930er-Jahren ehrenamtlich verarmte Familien betreut hatte, sondern auch von dem 1892 in den Niederlanden geborenen Serienmörder Harry F. Powers, der Anfang der 1930er-Jahre an alleinstehende oder verwitwete Frauen gerichtete Kontaktanzeigen aufgab, in denen er vorgab, auf der Suche nach Liebe und einer Frau zu sein, um sie dann zu ermorden. Das Drehbuch von James Agee („African Queen“, „Der weiße Hengst“) und Charles Laughton berücksichtigt ebenso wie die Inszenierung auch den Einfluss von Hans Christian Andersen auf Davis Grubb, denn die Geschichte fokussiert sich maßgeblich auf das Verhältnis zwischen dem psychopatischen Frauenmörder Powell und den beiden Kindern, denen er um jeden Preis das Geheimnis um die versteckten 10.000 Dollar abringen will.
Mit den expressionistischen Licht- und Schattenspielen, die vor allem Powells Silhouette am Horizont für die Kinder übermächtig groß erscheinen lassen, drücken Laughton und sein Kameramann Stanley Cortez („Der Glanz des Hauses Amberson“, „Das zweite Gesicht“) die kindlichen Urängste aus und präsentieren ihrem Publikum eine bedrohliche Mixtur aus Thriller, Schauermelodram und Film noir.
Robert Mitchum („Goldenes Gift“, „Ein Satansweib“) brilliert dabei als charismatischer Frauenmörder in der vertrauenserweckenden Kluft eines Wanderpredigers, der eindrucksvoll über den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse durch die auf seinen Fingern tätowierten Worten LOVE und HATE zu predigen versteht. Während Shelley Winters („Der große Gatsby“, „Winchester 73“) als leicht beeinflussbare und naive Witwe etwas blass bleibt, kann in der zweiten Hälfte des Films Stummfilmstar Lillian Gish („Die weiße Schwester“, „Duell in der Sonne“) als herzensgute Pflegemutter für Waisenkinder dem Film eine positive Atmosphäre verleihen.
Zur Zeit seiner Veröffentlichung floppte „Die Nacht des Jägers“ angesichts der blasphemischen Tonart, doch seit seiner Veröffentlichung auf DVD erkannten viele Filmemacher und Kritiker ab den 1990er Jahren den künstlerischen Wert von Laughtons einziger Regiearbeit. Das französische Filmmagazin Cahiers du cinéma listete „Die Nacht des Jägers“ 2008 hinter Orson Welles’ „Citizen Kane“ sogar auf dem zweiten Platz der besten Filme aller Zeiten.
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