Time Out of Mind
Seit seinem Regiedebüt mit dem pseudodokumentarischen Episodendrama „Menschen am Sonntag“ (1930) avancierte Robert Siodmak in Deutschland mit Filmen wie „Abschied“, „Der Mann, der seine Mörder sucht“, „Voruntersuchung“, „Stürme der Leidenschaft“ und „Das brennende Geheimnis“ zu einem der prominentesten Filmemacher, doch fiel es dem über Frankreich 1939 in die USA emigrierten Siodmak schwer, in Hollywood Fuß zu fassen. Nachdem ihm aber sein alter Kumpel Preston Sturges 1940 den ersten Regie-Job vermitteln konnte, wurde Siodmak in den 1940er Jahren mit Filmen wie „Zeuge gesucht“ (1944), „Unter Verdacht“ (1944), „Die Wendeltreppe“ (1946), „Rächer der Unterwelt“ (1946) und „Gewagtes Alibi“ (1949) zu einem der wichtigsten Vertreter des Film noir. Weniger bekannt wurde allerdings sein 1947 inszeniertes Drama „Time Out of Mind“, das Siodmak nur wegen eines Versprechens des britischen Stars Phyllis Calvert gegenüber realisierte.
Nichts würde den patriarchalischen, kühlen Kapitäns Fortune (Leo G. Carroll) mehr erfreuen, als wenn sein Christopher (Robert Hutton) in seine Fußstapfen als Seemann treten würde, während der einfühlsame Chris selbst lieber ein berühmter Komponist sein möchte. Als der junge Mann nach der letzten Reise mit einem Schädelbruch in das herrschaftliche Anwesen an der Küste von Maine gebracht wird, sorgt sich Christophers Schwester Rissa (Ella Raines) ebenso um das Wohl ihres im Koma liegenden Bruders wie das Hausmädchen Kate Fernald (Phyllis Calvert). Da ihre Mutter als Haushälterin bei den Fortunes arbeitet, ist Kate wie eine Tochter im Hause der Kapitänsfamilie aufgewachsen, doch hegt sie weit mehr als nur geschwisterliche Gefühle für Christopher.
Nach seiner Genesung kann Rissa ihren Bruder dazu überreden, mit ihr heimlich nach Paris zu gehen, um seinen Traum verwirklichen zu können, doch als der Hausherr erfährt, dass Kate von diesem Plan wusste, fühlt er sich von ihr verraten. Fortan will er nichts mehr von seinen Kindern wissen und kapselt sich von der Außenwelt vollkommen ab. Den einzigen an ihn persönlich gerichteten Brief verbrennt er ungelesen im Kamin, so dass auch Kate mehr als überrascht ist, als ihr geliebter Chris mit der aus einer wohlhabenden Familie stammenden Dora Drake (Helen Carter) verheiratet nach Hause zurückkommt, kurz nachdem Kapitän Fortune verstorben ist. Dora nutzte bereits in Paris ihre Beziehungen, um Chris ein Konzert zu ermöglichen, doch fühlt sich Chris eher wie eine Marionette als ein Mann mit eigenem Willen. Als Kate bemerkt, wie unglücklich Chris in seiner Ehe ist, reift in ihr ein ungewöhnlicher Plan…
Kritik:
Wenn Kate zu Beginn als Ich-Erzählerin von ihrer Rolle in dem Fortune-Anwesen berichtet und die Kamera vom tosenden Meer aus zu der sich hell vor dem unheilvoll dunklen Himmel abhebenden Villa schwenkt, werden nicht von ungefähr Erinnerungen an Alfred Hitchcocks „Rebecca“ (1940) oder William Wylers „Sturmhöhe“ (1939) wachgerufen. Nun ist die Romanvorlage von National-Book-Preisträgerin Rachel Field nicht mit der psychologischen Tiefe vergleichbar, die Daphne du Maurier oder Emily Brontë in ihren mehrfach verfilmten Werken aufweisen, aber interessant ist zumindest die Konstellation, dass der schwächliche, künstlerisch begabte Sohn eines herrschsüchtigen Veteranen der See zwischen drei starken, aber gänzlich unterschiedlichen Frauen steht, die jede für sich und alle zusammen das Schicksal des an sich zweifelnden Komponisten bestimmen.
Während die einfühlsame Rissa ihn aus den Klauen des kompromisslosen Vaters entreißt und ihm in Paris das Leben ermöglicht, das er selbst gern führen möchte, hält Kate daheim in Maine voller Sehnsucht und Hoffnung die Stellung und kümmert sich um den verhärmten, verwitterten Patriarchen, während die geltungssüchtige Dora wiederum weniger an den Ruhm ihres Mannes denkt als an das Medienecho auf das von ihr eingefädelte Konzert in New York.
„Time Out of Mind“ präsentiert sich weniger als Film noir als eine klassische Literaturverfilmung mit Gothic Touch. Da sich Siodmak mit dem Drehbuch nie recht anfreunden konnte, fokussierte er sich ganz auf die inszenatorischen Qualitäten, für die neben Komponist Miklós Rózsa vor allem Kameramann Maury Gertsman („Der Mann ohne Gesicht“, „House of Horrors“) und die schönen Kulissen im Fortune-Anwesen verantwortlich sind.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen