Charlie und die Schokoladenfabrik
Tim Burton hat an dem britischen Schriftsteller Roald Dahl (1916-1990) besonders geschätzt, dass er auch als Erwachsener nie vergaß, was es heißt, ein Kind zu sein. Dahls zweites, 1964 veröffentlichtes Kinderbuch „Charlie and the Chocolate Factory“, wurde bereits 1971 mit Gene Wilder in der Hauptrolle des Schokoladenfabrikanten Willy Wonka verfilmt, doch in den Händen von Tim Burton geriet Dahls Kinderbuch-Klassiker zu einer ebenso kitschig-bunten wie berührenden Geschichte über die Kraft der Liebe zur Familie.
Obwohl der zehnjährige Charlie Bucket (Freddie Highmore) mit seinen arbeitslosen Eltern (Noah Taylor und Helena Bonham Carter) und den vier Großeltern in einer windschiefen und baufälligen Hütte am Rande einer großen Stadt lebt, ist der Junge immer gut gelaunt. Kurz vor seinem Geburtstag erfährt Charlie, dass der berühmte Süßigkeitenhersteller Willy Wonka (Johnny Depp) fünf Kinder in seine Schokoladenfabrik einlädt, in der bis zuletzt Charlies Großvater Joe (David Kelly) gearbeitet hat, bis er durch eine Maschine ersetzt wurde.
Wonka sah sich allerdings wenig später gezwungen, die ganze Fabrik zu schließen, nachdem seine Geheimrezepte von Konkurrenten ausspioniert worden waren. Zwar nahm die Fabrik später wieder ihren Betrieb und die Produktion der märchenhaftesten Süßigkeiten wieder auf, doch niemand sieht je einen Arbeiter in die Fabrik hinein- oder herausgehen. Wer zu den fünf glücklichen Kindern gehören will, muss allerdings das Glück haben, eines der fünf goldenen Tickets zu finden, die Wonka in die Schokoladentafeln gelegt hat, die in die ganze Welt exportiert werden. Den Gewinnern winkt ein eintägiger Besuch mit einem erwachsenen Angehörigen in der Fabrik mit der Möglichkeit, sich durch das gesamte Sortiment zu naschen, sowie ein Sonderpreis für eines der fünf Kinder. Veruschka Salz (Julia Winter), die verzogene Göre eines Firmenbosses, lässt ihren Vater ganze Wagenladungen von Wonka-Schokolade bestellen und in seiner Fabrik nach der goldenen Eintrittskarte suchen, bis sie endlich das Gesuchte überreicht bekommt. Augustus Glupsch (Philip Wiegratz), der Süßigkeiten verputzende fette Sohn eines Düsseldorfer Fleischers, zählt ebenso zu den Gewinnern wie die eingebildete Kaugummi-Kau-Weltmeisterin Violetta Beauregarde (Annasophia Robb) und der überhebliche Klugscheißer Micky Schießer (Jordan Fry). Charlie bekommt noch vor seinem Geburtstag von seiner Familie eine Tafel Wonka-Schokolade geschenkt, doch leider ohne das ersehnte goldene Ticket. Als Charlie später jedoch in einem Rinnstein einen Geldschein findet und in einem Kiosk eine weitere Schokolade kauft, kann er sein Glück kaum fassen, als er darin das letzte der fünf goldenen Eintrittskarten für Willy Wonkas Schokoladenfabrik findet. Vor ihm und Onkel Joe liegt ein Tag voller wunderbarer Entdeckungen, auch wenn sich der Süßigkeitenfabrikant als sehr kauziger Typ präsentiert…
Kritik:
Ob es nun die düsteren Geschichten wie Washington Irvings „Die Legende von der schlafenden Schlucht“ und dem Musical „Sweeney Todd“ von Stephen Sondheim und Hugh Wheeler sind oder die märchenhaften Erzählungen, die Daniel Wallace mit „Big Fish“ oder eben Roald Dahl mit „Charlie und die Schokoladenfabrik“ abgeliefert haben – stets findet Tim Burton einen unvergleichlichen Ton und eine ungewöhnliche Art der Inszenierung, seine eigene Vision in der Adaption solch fantastischer Stoffe auszudrücken.
In seiner vierten Zusammenarbeit mit Johnny Depp – nach „Edward mit den Scherenhänden“, „Ed Wood“ und „Sleepy Hollow“ – fesselt Tim Burton mit seinem Team – allen voran der begnadete Produktionsdesigner Alex McDowell („The Crow: Die Rache der Krähe“, „Minority Report“), der routinierte Kameramann Philippe Rousselot („Interviw mit einem Vampir“, „Big Fish“) und Burtons langjähriger Stammkomponist Danny Elfman („Good Will Hunting“, „Sommersby“) – mit der Ausgestaltung einer in sich geschlossenen Traumfabrik. Denn hinter den für die Öffentlichkeit unzugänglichen Toren der Fabrik sind es die winzig kleinen, überaus produktiven wie vergnügten Umpa Lumpas (ein virtuell auf 75 Zentimeter geschrumpfter und in vielerlei Rollen multiplizierter Deep Roy), die innerhalb eines farbenfrohen Schlaraffenlands die leckersten Köstlichkeiten produzieren.
Ein Schokoladenwasserfall sorgt dafür, dass die Schokolade schön locker aufgeschlagen wird, Bonbons reifen in exotisch aussehenden Früchten, Seepferdchen-Galeeren und gläserne High-Tech-Aufzüge bringen die Besucher über den Schokoladenfluss in eine von Eichhörnchen betriebene Nuss-Sortier-Station und futuristische Fernsehräume. Das ist alles so liebevoll und einfallsreich in Szene gesetzt worden, dass die leicht übertriebene Skurrilität, die Johnny Depp als Willy Wonka zur Schau stellt, ebenso nicht zu sehr nervt wie die sehr penetrant dargebotene Glückseligkeit von Charlies Familie in der baufälligen Hütte am Rande der Stadt. Besonders gelungen sind die Erinnerungen, in die sich Willy Wonka während der Führung immer wieder verliert und die untrennbar mit seinem Vater (Christopher Lee), einem unnachgiebig strengen Zahnarzt verbunden sind, der ihm Zeit seines Lebens den Genuss jeglicher Süßigkeiten untersagt hat.
Wer am Ende den Sonderpreis gewinnt, ist zwar ebenso vorhersehbar wie die Botschaft des Films, doch Tim Burton hat einmal mehr alle Register gezogen, um für knapp zwei Stunden Erwachsene wie Kinder eine Auszeit vom realen Leben zu gönnen und sie in seine ganz eigene Welt zu entführen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen