Ed Wood
Tim Burton hat mit nur wenigen Filmen zum Anfang seiner Karriere eine erstaunliche Bandbreite an Genres abgedeckt. Nach der verschrobenen Buddy-Komödie „Pee-wees irre Abenteuer“ ließ er zunächst die einfallsreiche Horror-Komödie „Beetlejuice“, erweckte den Comic-Superhelden „Batman“ auf der großen Leinwand zum Leben und inszenierte mit „Edward mit den Scherenhänden“ ein bezauberndes, pastellfarbenes tragikomisches Fantasy-Märchen im 50er-Jahre-Look, das Johnny Depp den Durchbruch in Hollywood bescherte und den Grundstein für die langjährige Zusammenarbeit mit Burton legte. Einen weiteren Höhepunkt ihrer fruchtbaren Beziehung stellt „Ed Wood“ (1994) dar, eine Hommage an den „schlechtesten Regisseur aller Zeiten“.
Ed Wood (Johnny Depp) träumt in den 1950er Jahren davon, seinem großen Vorbild Orson Welles (Vincent D'Onofrio) nachzueifern, der es geschafft hat, mit nur 26 Jahren sein Meisterwerk „Citizen Kane“ (1941) zu realisieren – als Co-Drehbuchautor, Produzent und Regisseur. Doch der Weg dahin erweist sich als steinig. Die Aufführung eines Theaterstücks über zwei Soldaten im Zweiten Weltkrieg findet vor fast leeren Rängen statt und erntet furchtbare Kritiken. Doch Wood lässt sich dadurch nicht von seinem großen Traum abbringen. Als er zufällig den seit Jahren unbeschäftigten Filmstar Bela Lugosi (Martin Landau) kennenlernt, kann er einen B-Movie-Produzenten dazu überreden, mit dem Morphium-süchtigen „Dracula“-Star in der Hauptrolle die Regie eines Films zu übernehmen.
Wood, der selbst gern Frauenkleider – bevorzugt Angora-Pullover – trägt, übernimmt zusammen mit seiner Freundin Dolores Fuller (Sarah Jessica Parker) die Hauptrolle in „Glen or Glenda“, einem Dokudrama zum Thema Transvestismus. Dolores erfährt erst durch das Drehbuch, dass Ed Transvestit ist. Der Produzent kann mit dem Stoff allerdings nicht viel anfangen und feuert Wood, der sich mit seinem grenzenlosen Optimismus in das nächste Filmprojekt stürzt. Er unterbreitet einem Produzenten verschiedene spontane Ideen und kann ihn für ein Projekt namens „Bride of the Atom“ gewinnen, der später in „Bride of the Monster“ umbenannt wird. Neben Bela Lugosi engagiert Wood den Wrestler Tor Johnson (George „The Animal“ Steele) und eine junge Frau namens Loretta King (Juliet Landau), die Wood in einer Bar kennengelernt und den Eindruck vermittelt hat, über genügend Geld zu verfügen, den 60.000 Dollar teuren Film zu finanzieren. Dafür musste der Regisseur ihr allerdings die weibliche Hauptrolle versprechen, die Dolores zugedacht war.
Als Wood während des Drehs feststellen muss, dass die 300 Dollar, die Loretta ihm gegeben hat, bereits ihr ganzes Vermögen gewesen ist, wird die Crew aus dem Studio geschmissen. Wood kümmert sich rührend um den wegen seiner Drogensucht immer kränklicher werdenden Lugosi und geht mit großem Enthusiasmus an sein nächstes Werk, das er mit Unterstützung der prominenten TV-Horror-Ansagerin Vampira (Lisa Marie), den TV-Hellseher Criswell (Jeffrey Jones) und einer baptistischen Kirchengemeinde realisieren will: „Plan 9 from Outer Space“…
Kritik:
Es ist bei „Ed Wood“ vieles anders als in Tim Burtons vorangegangenen Filmen. Statt grellbunter Farben, märchenhaften Geschichten und knallender Special Effects präsentiert sich „Ed Wood“ als monochrom inszeniertes Biopic, das ganz ohne große Effekte daherkommt. Dafür bleibt sich Burton allerdings seinem Faible für sympathische Außenseiter treu.
„Ed Wood“ stellt keine kritische Auseinandersetzung mit einem Filmemacher dar, der im Alter von nur 54 Jahren als verarmter Alkoholiker an einem Herzinfarkt auf der Couch eines Freundes verstarb, sondern fokussiert sich ganz auf Woods von grenzenlosem Optimismus geprägte Schaffensphase zwischen den frühen 50er Jahren und 1959, von der desaströsen Theateraufführung über die Freundschaft zu dem alternden Filmstar Bela Lugosi bis zur einfallsreichen Produktion von „Plan 9 aus dem Weltall“.
Zwar lässt Burton in seiner liebevollen Hommage an Ed Wood auch gnadenlos durchschimmern, dass der hoffnungslose Träumer ein echter Stümper gewesen ist, der aus Zeit- und Geldmangel meist den ersten Take verwendete und so innerhalb weniger Tage einen Film fertigstellte, doch geht es Burton auch nicht um eine Beurteilung von Woods Werk, sondern um den ungebremsten Enthusiasmus, den Wood in seinem Wirken zum Ausdruck brachte.
Johnny Depp, der in „Edward mit den Scherenhänden“ noch mit wenig Worten auskommen musste und vor allem mittels einfühlsamer Mimik die Tragik seiner Figur vermittelte, strömt hier mit weit aufgerissenen Augen einen Tatendrang, der sich schließlich auch auf potenzielle Geldgeber und seine Crew auswirkte. Neben Depp ist es vor allem Martin Landau („Der unsichtbare Dritte“, „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“), der dem Universal-Horror-Darsteller Bela Lugosi eine zutiefst menschliche Note verleiht, die von Sehnsucht nach besseren Zeiten und Angst vor dem Vergessen und dem endgültigen Abdriften in den Morphium-Nebel geprägt ist.
Tim Burton ist mit „Ed Wood“, den der Regisseur nach einem Streit mit seinem Stammkomponisten Danny Elfman ausnahmsweise von Howard Shore musikalisch stimmig vertonen ließ, ein einfühlsames Portrait eines ebenso enthusiastischen wie gescheiterten Filmemachers gelungen, der trotz fehlenden Talents alles daran setzte, seine Träume zu verwirklichen.
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