Berlin Alexanderplatz

Seit seiner Jugend hat Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) davon geträumt, Alfred Döblins 1929 veröffentlichten Roman „Berlin Alexanderplatz“ zu verfilmen. Mit dem WDR hat Fassbinder bereits seit 1971 erfolgreich zusammengearbeitet, u.a. an der – leider vorzeitig abgesetzten – Familienserie „Acht Stunden sind kein Tag“, aber für ein Mammutprojekt wie die Adaption von Döblins Großstadtroman wurden auch die Bavaria Atelier GmbH und das italienische Staatsfernsehen RAI gewonnen, um die mit 13 Millionen Mark bis dato teuerste Fernsehproduktion zu schultern. Was damals als Sensation angekündigt worden war, konnte das Publikum allerdings nicht fesseln. Die Zuschauerquoten brachen nach vier Folgen ein. Erst in der sorgfältigen Restauration des damals günstigen 16mm-Materials, das in der Fernsehausstrahlung viel zu dunkel wirkte, kommt die künstlerische Qualität der Geschichte von Franz Biberkopf in 13 Teilen und einem Epilog voll zur Geltung.

Inhalt:

Als Franz Biberkopf (Günter Lamprecht) im Jahr 1928 nach vier Jahren aus der Haftanstalt Berlin-Tegel entlassen wird, in der wegen Totschlags seiner Freundin Ida (Barbara Valentin) eingesessen hatte, streunt er etwas orientierungslos in der Gegend herum. Er schwört sich, ehrlich zu bleiben, doch dieses Vorhaben gestaltet sich in der Stadt mit über 600.000 Arbeitslosen schwierig. Immerhin kann er sein altes Zimmer bei Frau Bast (Brigitta Mira) beziehen, lernt die Polin Lina (Elisabeth Trissenaar) kennen und findet durch einen „Onkel“ Arbeit als Verkäufer von Schnürsenkeln, dann als Zeitungsverkäufer, doch beide Tätigkeiten bringen nicht viel ein und lassen Franz am Sinn des Lebens zweifeln, weshalb er sich zusehends dem Alkohol hingibt. Durch seinen alten Freund Meck (Franz Buchrieser) lernt er den Kleinganoven Reinhold (Gottfried John) kennen, der stets nach kurzer Zeit seine Frauen loswerden will und sie Franz aufs Auge drückt. Reinhold bringt Franz in die Organisation von Pums (Ivan Desny). Bei einem organisierten Diebstahl steht Franz unwissentlich Schmiere und wird bei der Flucht vor einem vermeintlichen Verfolger von Reinhold aus dem Wagen geschmissen, worauf Franz von dem nachfolgenden Fahrzeug überrollt wird und seinen rechten Arm verliert.
Seine ehemalige Freundin Eva (Hanna Schygulla) sowie deren Lebensgefährte und Zuhälter Herbert pflegen ihn anschließend gesund. Eva bringt ihn mit einem Mädchen (Barbara Sukowa) zusammen – von Franz „Mieze“ genannt – die seine neue große Liebe wird. Anfänglich ohne sein Wissen, geht sie auf den Strich, um ihn finanziell zu entlasten, was er mit gespaltenen Gefühlen akzeptiert, als er davon erfährt. Trotzdem hat er nach seinen Kämpfen mit sich selbst und den gesellschaftlichen Umständen sein Glück mit Mieze gefunden.
Reinhold, der ständig den Verdacht hat, dass Franz sich an ihm rächen will (was der gar nicht beabsichtigt), ist zunehmend neidisch auf Franz’ Glück und beginnt Mieze nachzustellen. Dabei hilft ihm Meck, ehemals bester Freund von Franz, sie zu einem Treffen zu locken, bei dem er vergeblich versucht, sie Franz auszuspannen, mit fatalen Folgen…

Kritik:

Auf meisterhafte Weise erzählt Fassbinder in seinem 15-stündigen Epos „Berlin Alexanderplatz“ von der Einsamkeit des großstädtischen Menschen. In der durchaus werkgetreuen Adaption von Döblins einzigem populären Werk taucht die Vorzeigefigur des Neuen Deutschen Films tief in die Abgründe der Weimarer Republik ein, streift mit seinem nie die Hoffnung verlierenden Protagonisten in die vom Ersten Weltkrieg noch zerbombten Keller, in die Tanzpaläste und Kneipen, in die Pissoirs und Lusttempel ein. 
Hier versucht der immer wieder zu Temperamentausbrüchen neigende Franz Biberkopf, wieder ins Leben zurückzufinden, doch die ungesunde Beziehung zu dem undurchsichtigen, stotternden Reinhold wird für den Franz zur ständigen Belastungs- und Bewährungsprobe. Fast hätte er auch seine liebe Mieze erschlagen, die für ihn auf den Strich geht, dabei will er doch nur leben und arbeiten, seine Ruhe, seinen Spaß haben. Naiv, wie er ist, verkauft er mit einer Hakenkreuzbinde am Arm den „Völkischen Beobachter“, vertraut seinem Geschäftspartner an, wo bei einer Witwe mehr zu holen ist als nur ein paar Groschen für die Ware, um sich dann in Schuldgefühlen zu wälzen, als er erfährt, dass die Witwe Opfer einer Erpressung geworden ist. Selbst Reinhold kann er vergeben, dass er durch ihn seinen Arm verloren hat. 
Günter Lamprecht („Die Ehe der Maria Braun“, „Flüchtige Bekanntschaften“) spielt diesen mal kindisch staunenden und überschwänglichen, dann wieder alkoholseligen, verzweifelten und dann auch brutalen Mann mit einer starken physischen wie emotional breitgefächerten Präsenz, die der trostlosen Atmosphäre der Gelb- und Brauntöne eine Lebendigkeit verleiht, die das ganze Spektrum menschlicher Empfindungen abdeckt. Es ist die Geschichte des modernen Menschen, bestrebt, im Moloch der Großstadt nicht völlig unter die Räder zu kommen, irgendwie am Leben zu bleiben und etwas Glück zu finden.

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