Der Fangschuss
Mit Filmen wie „Der junge Törless“, „Die Moral der Ruth
Halbfass“, „Strohfeuer“ und „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ avancierte
Volker Schlöndorff seit Mitte der 1960er Jahre zu einem der wichtigsten
deutschen Filmemacher. 1976 machte er sich mit „Der Fangschuss“ an die
Verfilmung des Romans „Le Coup de Grâce“ der belgisch-französischen
Schriftstellerin Marguerite Yourcenar.
Inhalt:
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs herrschen im
Baltikum chaotische Zustände: Statt nach dem verlorenen Krieg sich wie viele
bequem irgendwo im liberalen Berlin der Zwanziger zurückzuziehen, zieht
sich der preußische Offizier Erich von Lhomond (Matthias Habich) mit
seinem Freund Konrad von Reval (Rüdiger Kirschstein) und seinem
Freikorps in das bereits von der Roten Armee beschossene Schloss von Konrads
Tante (Valeska Gert) zurück.
Konrads Schwester Sophie (Margarethe von Trotta) freut
sich besonders über das Wiedersehen mit Erich, den sie bereits aus Kindertagen
kennt. Trotz ihrer privilegierten Stellung als Adelige und ihres militärischen
Bruders, der gegen die Bolschewiken kämpft, sympathisiert Sophie mit den
Kommunisten, beschäftigt sich mit der politischen Literatur und pflegt
weiterhin ihre Freundschaft zu einem untergetauchten Aktivisten, ohne sich
entschließen zu können, ihr Leben im Schloss aufzugeben und auf die andere
Seite des politischen Abgrunds zu wechseln. Das fällt ihr deshalb auch so
schwer, weil sie sich heftig in Erich verliebt, der davon allerdings nichts
wissen will, schließlich könne er ihr nicht das Leben bieten, das ihr zustünde.
Da seine Stellung beim Militär alles ist, wofür es sich zu kämpfen lohnt, setzt
Erich alles daran, die ohnehin verlorene Stellung so lange wie möglich zu halten,
auch wenn dies unnötige Verluste verursacht.
Obwohl ihr seine militärischen Aktionen wie die Ermordung
von gefangenen Kommunisten missfällt, verstärkt sich Sophies Zuneigung zu
Erich, doch seine anhaltende Ablehnung lässt sie schließlich zu Provokationen
wie Flirts mit anderen Soldaten hinreißen. Dabei ist ihr längst klar, dass sich
Erich mehr für ihren Bruder als sie interessiert. Aus Wut und Enttäuschung schlägt
sich Sophie auf die Seite der Bolschewiken…
Kritik:
Volker Schlöndorff („Die Blechtrommel“, „Homo
Faber“) wandelt in der Adaption von Marguerite Yourcenars Novelle auf
den Pfaden des von ihm verehrten Jean-Pierre Melville, dem er „Der
Fangschuss“ als seinem ersten Lehrer widmet, und fängt die triste
Geschichte von Krieg, sinnloser Gewalt und unerwiderter Liebe in kühlen
Schwarzweißbildern ein. Der literarischen Vorlage wird Schlöndorff insofern
gerecht, als er ganze Originaldialoge in Französisch sprechen lässt, ohne dass
es dramaturgisch viel Sinn ergeben würde.
Margarethe von Trotta, die auch am Drehbuch mitgewirkt
hat, überzeugt als emanzipierte Frau, die sich jenseits ihres eigenen gehobenen
gesellschaftlichen Standes einerseits für die Kranken und Revolutionäre stark
macht, andererseits einer unerwiderten Liebe für einen preußischen Offizier nachhängt,
die keine Zukunft hat. Schlöndorff arbeitet deutlich heraus, welche
irreparablen Schäden der Krieg und die damit einhergehende Gewalt anrichten.
Die kühl ausgeführten Hinrichtungen der Revolutionäre, aber auch die Verluste
in den eigenen Reihen des Freikorps lassen Zweifel an der Menschlichkeit
aufkommen und die Saat einer erfüllten Liebe im Keim ersticken.
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